Nehmt euch nicht alle so wichtig

Ho ho hochinteressante Aussichten: Der Weihnachtsmann rechnet mit dem Konzept der Artigkeit ab

Was schwierig begann, wurde am Ende doch noch versöhnlich und aufschlussreich: der Weihnachtsmann mit Jugendreporterin Maria. Foto: Raufeld/Yvonne Vávra

Herr Weihnachtsmann, wir waren immer schön artig und fragen uns, 
ob …
…
Moment, da will ich gleich eingreifen. Diese ganze Korrektheit, die immer von jedem zu jeder Zeit gefordert wird, ist mir schon lange eine Tannennadel im Stiefel. Das Prinzip der bedingungslosen Artigkeit ist überholt.

Finden Sie? Es war nicht ganz höflich, derart in die Einstiegsfrage zu platzen. Wir sind schließlich noch keine hartgesottenen Profis, und so ein ­rüdes Benehmen verunsichert zusätzlich.
Da geht es schon los. Warum habt ihr Angst vor mir? Würdet ihr mich und euch nicht so wichtig nehmen, könnten wir hier ganz normal mit­einander stehen, locker reden und bräuchten uns nicht über von außen aufgezwungene Regeln zu unterhalten. Es gäbe weniger Probleme auf der Welt, wenn die Menschen nicht immer alles so ernst nehmen würden. Ihre religiösen Wahrheiten, ihre vermeintlichen Revieransprüche, ihre völlig ungerechtfertigten Überzeugungen, den Durchblick in Sachen Moral zu haben. Das bereitet so viele Schwierigkeiten.


Aber wo endet die Menschheit, wenn es keine Regeln gibt?
Die Regeln der einen verletzen die Regeln der anderen. Schaut doch, was mit meinem großartigen Vertreter auf Erden John Toomey in San Francisco passiert ist. 20 Jahre lang hat er in einem Kaufhaus als Weihnachtsmann gearbeitet – Kinder und Erwachsene sind regelrecht zu ihm gepilgert, er war berühmt in der Gegend! Eine Koryphäe auf seinem Gebiet! Aber seine Ho ho hos sind nun gezählt, weil sich ein älteres Pärchen über einen Witz von Toomey beschwert hat. Diese eine Beschwerde war dem Kaufhaus wichtiger als 
20 Jahre treue Arbeit. Er wurde sofort gefeuert.

Schlimmer Witz?

Erwachsene, die auf seinem Schoß saßen, hat er immer gefragt, ob sie artig waren, und wenn sie Ja gesagt haben, meinte er: „Ah, zu schade!“ Und er hat gesagt, dass er so fröhlich sei, weil er eben wisse, wo all die bösen Jungs und Mädchen wohnen. Man muss sich vorstellen, dass so etwas Leute dazu bewegen kann, jemanden feuern zu lassen. Die sich dabei noch im moralischen Recht fühlen. Erwachsene Menschen, die sich, ha ha ha und ho ho ho, im Kaufhaus gern auf den Schoß eines Weihnachtsmanns setzen.


Wir sehen, worauf Sie hinaus wollen. Aber dieser eine Vorfall taugt ja nun nicht dazu, das ganze Prinzip der Weihnacht auf den Kopf zu stellen. Es geht doch darum, lieb und nett zu seinen Mitmenschen zu sein.

Genau, und wenn das jeder für sich versucht und nicht erwartet, dass alle anderen dieselben Vorstellungen von lieb und nett haben, dann ist auch alles in Ordnung.

Das Versöhnliche steht Ihnen viel besser zu Gesicht als das Aufbrausende. Fest steht wohl, dass alles viel einfacher ist, wenn man denkt, dass man im Besitz der einzigen Wahrheit ist. Seinen Blick auf die Welt ständig zu überprüfen und anderen Ansichten unvoreingenommen zu begegnen, ist viel anstrengender. Aber wir werden es versuchen.
So ist’s artig.

Das Gespräch führte die Jugend­redaktion, die euch allen fröhliche Weihnachten wünscht!
Was schwierig begann, wurde am Ende doch noch versöhnlich und aufschlussreich: der Weihnachtsmann mit Jugendreporterin Maria.

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