Vom Unterschied zwischen Lehrer und Mensch

 

Stephan Serin erzählt in seinem Buch aus den Niederungen deutscher Klassenzimmer

 

Stephan Serin (32) beschreibt in „Föhn mich nicht zu“ (rororo-Verlag) seine Erfahrungen als Referendar. Seit diesem Jahr unterrichtet er an einer Berliner Berufsschule. (Foto: privat)

Herr Serin, war Ihre Referendariatszeit als Lehrer so schlimm, dass Sie gleich ein Buch über Ihre Erfahrungen mit Schülern, Kollegen und Ausbildern schreiben mussten?

 

Nein, aber in erster Linie haben die Texte mir selbst geholfen, meine Erfahrungen während des Schulalltags zu verarbeiten. Das Buch ist eine Sammlung von Episoden, die ich für meine Auftritte bei der Berliner-Lesebühne „Chaussee der Enthusiasten“ geschrieben habe. Wenn zum Beispiel eine Lehrprobe mal nicht so gut gelaufen ist, war es ein Erfolgsmoment, wenn immerhin das Publikum am Abend darüber lachen konnte.

 

Sie kritisieren in vielen Texten das Referendariat in seiner heutigen Form.

 

Viele angehende Lehrer empfinden die Referendariatszeit als belastend. Die Ausbilder predigen immer, man solle die Schüler loben und ihre Stärken hervorheben. Viele von ihnen kritisieren aber ihre Referendare praktisch in einer Tour. Bei denen hat man das Gefühl, sie wollen gar nicht, dass man seine Probezeit schafft.

 

Haben Sie auch schöne Momente erlebt?

 

Ich mochte die Situationen, in denen Schüler sich mir geöffnet oder sich für mich interessiert haben und sich daraus ein persönliches Gespräch ergeben hat. Ich wurde zum Beispiel einmal auf sehr empathische Weise gefragt, warum ich eigentlich Lehrer werden wolle. Schließlich würden mich dann alle hassen.

 

Genau. Oft mangelt es in der Schule an einer guten Beziehung zwischen Schüler und Lehrer. Meinen Sie, dass die Lehrer den Schülern keine Chance geben oder ist es eher andersherum?

 

In einem Profilkurs haben Schüler massiv meinen Unterricht und meine Arbeitsaufträge infrage gestellt. Ansonsten konnte ich aber fast alle Klassen erreichen, sogar einen Französisch-Kurs, der mir als „schlimmste Klasse überhaupt“ vorgestellt wurde. In der Regel geben also die Schüler den Lehrern erstmal eine Chance. Wenn es im Unterricht aber nicht klappt, liegt das meist am Führungsstil des Lehrers. Ich habe einmal in einer jüngeren Klasse den Tipp bekommen: „Herr Serin, Sie müssen mehr schreien.“

 

Sie haben an einer Schule mit hohem Migrantenanteil gearbeitet. Ist das Bildungsproblem vor allem ein Integrationsproblem?

 

Schüler ohne Migrationshintergrund waren in den meisten meiner Klassen in der Minderheit und konnten deshalb allein quantitativ nicht so sehr auffallen. Viel wichtiger ist aber, wie die Erziehung neben dem Unterricht durch das Elternhaus aussieht. Das ist ein Problem, das keineswegs nur 
Migranten betrifft. In einigen Klassen war ich eher Sozialarbeiter als 
Lehrer.

 

Jeder Lehrer war einmal Schüler. Ich frage mich, warum und wann manche Lehrer ihre Ideale über den Haufen werfen.

 

Ich glaube, dass viele Lehrer im Alltag überarbeitet sind und sich ihr ursprünglich guter Unterricht mit der Zeit abnutzt. Die wenigsten Lehrer drehen einfach nur Däumchen. Es gibt viele, auch ältere Lehrer, die sehr wohl guten Unterricht machen und hohe Ansprüche an sich haben. Besonders ist mir aufgefallen, dass wir alle in verschiedenen Rollen stecken. Manche Kollegen fand ich sehr sympathisch und habe trotzdem von Schülern gehört, die Probleme mit ihnen hatten. Umgekehrt heißt es aber auch nicht, dass ein Kollege, mit dem ich mich nicht verstehe, ein schlechter Lehrer sein muss. Zwischen „Lehrer“ und „Mensch“ gibt es manchmal einen Unterschied.

 

Angst vor Reaktionen der Schüler, von denen Sie im Buch erzählen?

 

Ich würde mich freuen, wenn manche meiner ehemaligen Schüler mein Buch lesen und merken, was sie mir bedeutet haben. Es waren -keineswegs Vorzeigeschüler, aber ich habe gern mit ihnen zusammengearbeitet.

 

Das Interview führte Lorenz Wünsch, 19 Jahre.

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