„Sexualkundeunterricht darf an Schulen nicht fehlen“

Sexualpädagogin Katrin Putschbach über Lücken im Entwurf des neuen Berliner Rahmenlehrplans

Der Entwurf des neuen Berliner Rahmenlehrplans, der 2016 in Kraft treten soll, rief in den vergangenen zwei Wochen Kritik hervor – unter anderem, weil die Verpflichtung zur fächerübergreifenden Sexualerziehung gestrichen wurde. Über die Relevanz des Sexualkundeunterrichts sprachen wir mit Katrin Putschbach, die als Sexualpädagogin im Berliner Familienplanungszentrum Balance tätig ist.

Katrin Putschbach arbeitet als Sexualpädagogin in Berlin. FOTO: ROBERT PELZ
Katrin Putschbach arbeitet als Sexualpädagogin in Berlin. FOTO: ROBERT PELZ

Frau Putschbach, wie sieht der aktuelle Berliner Rahmenlehrplan zur Sexualerziehung aus und wie wird er umgesetzt?
Seit 2001 gibt es ein Rundschreiben, das die Sexualerziehung als fächerübergreifende Angelegenheit festlegt. Darin sind Inhalte für alle Schulfächer vorgeschrieben, unter anderem auch interkulturelle Bezüge, die Thematisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen und Prävention sexueller Gewalt. Die genaue Umsetzung hängt stark von der Erfahrung und Offenheit der jeweiligen Lehrkraft und der verfügbaren Unterrichtszeit ab.

Die Veröffentlichung des zukünftigen Rahmenlehrplans löste bei Sexualpädagogen Diskussionen aus. Warum?
In der Vorlage des Rahmenlehrplans fehlt der Verweis auf fächerübergreifenden Sexualkundeunterricht. Der Berliner Senat hat mittlerweile jedoch bestätigt, dass das Rundschreiben von 2001 weiterhin gültig sein wird. Zudem soll der Rahmenlehrplan nun erst ein Jahr später als geplant in Kraft treten, um ihn entsprechend überarbeiten zu können.

Was macht zeitgemäßen Sexualkundeunterricht aus?
Kinder wachsen heutzutage in einer vielfältigen Gesellschaft auf. Sie erleben verschiedene Lebensweisen, sei es durch die Medien oder das Großstadtleben. Daraus resultieren viele Fragen der Kinder, die wir aufgreifen und auf die wir eingehen müssen. Wir wollen Schüler also nicht prägen, sondern nur begleiten. Ziel ist es, sie zu sexuell mündigen Bürgern auszubilden, die ein selbstbestimmtes Liebesleben führen.

Sie arbeiten in einem Familienplanungszentrum mit Schulklassen zusammen. Welche Vorteile bietet eine schulexterne Beratungsstelle?
Wichtig ist, ein solches Programm nur als Ergänzung und nicht als Ersatz des Aufklärungsunterrichts zu verstehen. Gesetzlich sind dazu nämlich gleichermaßen die Schule und Erziehungsberechtigte verpflichtet. Allerdings können Schüler bei uns anonym Fragen stellen, die sie oft als zu privat für Unterrichtsgespräche empfinden. Außerdem können wir sie geschlechterspezifisch beraten, und sie müssen nicht befürchten, dass sich ihre Wissenslücken negativ auf ihre Zensuren auswirken.

Gibt es denn so große Wissenslücken?
Das unterscheidet sich je nach Schüler und Klasse. Eine große Jugendsexualitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung besagt aber, dass 90 Prozent aller Jugendlichen angeben, in der Schule aufgeklärt worden zu sein. Das ist ein guter Wert im internationalen Vergleich.

Und der Rest der Schüler?
Bedingt durch Unterrichtsausfall oder überforderte Lehrkräfte kann es leider immer dazu kommen, dass Sexualkundeunterricht nicht stattfindet. Seltener sträuben sich auch die Erziehungsberechtigten, ihre Kinder am Unterricht teilhaben zu lassen. Sie dürfen sie zwar eigentlich nicht aus der Schule nehmen, melden sie aber manchmal einfach krank.

Welchen Rat können Sie für ein Aufklärungsgespräch geben?
Man muss sensibel sein, denn ein gewisser Teil der Jugendlichen hat Erfahrungen mit sexueller Gewalt. Außerdem gibt es homo- oder transsexuelle Heranwachsende, die verunsichert sind, wenn sie ständig nur etwas über Heterosexualität hören. Schon ein kleiner Nebensatz, der betont, dass auch andere Lebensweisen selbstverständlich sind, kann sie ungemein erleichtern.

Interview: Ben Marc, 19 Jahre

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Kategorien Politik

Ende 2013 wurde ich Mitglied der Jugendredaktion. In der Zwischenzeit hat sich mein Leben ganz schön verändert. Doch noch immer denke ich gern um die Ecke und habe oft unkonventionelle Vorstellungen. Die Tätigkeit bei der Zeitung hilft mir, diese anderen verständlich zu machen und selbst zu hinterfragen. Dabei verirre ich mich manchmal im Detail, gelange letztendlich jedoch weiter heraus als ich zuvor gewesen war.