Yoga-Unterricht, Hochbayerisch und Bibellehre

Wer wird hier einziehen? Wenn statt CDU und SPD nach der Wahl Bayernpartei und PBC im Bundestag säßen, könnten wir uns auf einiges gefasst machen. Foto: dpa/Michael Kappeler
Wer wird hier einziehen? Wenn statt CDU und SPD nach der Wahl Bayernpartei und PBC im Bundestag säßen, könnten wir uns auf einiges gefasst machen. Foto: dpa/Michael Kappeler

Wie sich unser Leben ändern würde, wenn die Kleinstparteien die Bundestagswahl gewönnen

Zugegeben, sehr wahrscheinlich ist es nicht, was sich die Jugendredaktion in den vergangenen sechs Wochen in der rechten Spalte dieser Seite so vorgestellt hat. In jeder Woche haben wir für je eine der sechs Parteien, die in deutschen Parlamenten vertreten sind, durchgespielt, wie sich Deutschland für Jugendliche verändern könnte, wenn sie das Land in den kommenden vier Jahren völlig alleine regieren und ihr Wahlprogramm eins zu eins umsetzen würde. Nun, am Wochenende der Bundestagswahl, sind nach den großen und größeren die ganz kleinen dran. Denn nicht nur Parteien wie SPD und CDU stehen am Sonntag auf den Wahlzetteln, sondern auch echte Exoten, die kaum jemand kennt. Wer hat schon einmal von einer Partei gehört, die das Wahlalter auf maximal 53 Jahre begrenzen will? Oder von einer, die möchte, dass der bayerische Dialekt in der Schule unterrichtet wird? Dass diese Parteien die absolute Mehrheit erringen, ist zwar noch unwahrscheinlicher, es sich einmal vorzustellen, lohnt sich aber irgendwie trotzdem:

Ein Sonntag im Jahr 2017: Auf den Volksentscheid, der heute stattfindet, hat Berlin lange gewartet: Es geht um die Frage, ob es vertretbar ist, Deutschlands beste Wissenschaftler zu verpflichten, gemeinsam an der Wiederbelebung des Eisbären Knut zu arbeiten. Seit die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiativen, kurz Die PARTEI, die Bundestagswahlen 2013 gewonnen hat, gibt es ständig Volksentscheide. Meine 13-jährige Schwester darf natürlich auch daran teilnehmen – ganz im Gegensatz zu meinem Onkel, der gerade 53 geworden ist und so die Obergrenze des Wahlalters überschritten hat. Das Wahllokal befindet sich in unserer alten Schule. Die müssen wir schon lange nicht mehr besuchen. Abitur macht man im G1-System, das die eigentlich als Satirepartei gegründete PARTEI eingeführt hat, nämlich schon nach der fünften Klasse, um sich danach den wichtigen Dingen des Lebens zu widmen.

Manchmal vermisse ich die Schule und erinnere mich, wie wir früher immer sechs Wochen Unterricht in Dreiergruppen hatten und den Rest des Jahres mit Tätigkeiten wie Basteln, Denken und Diskutieren verbracht haben. Meiner Schwester hat das Debattieren so gefallen, dass sie bei der kommenden Bundestagswahl mit ihren 13 Jahren als Abgeordnete kandidieren möchte. Ich dagegen bin nicht so ehrgeizig und hoffe, über die gesetzliche Faulenquote von siebzehn Prozent eine Führungsposition in der Wirtschaft zu erlangen. Meine Chancen stehen gar nicht so schlecht, schließlich müssen 40 Prozent aller Faulen Frauen sein, so sieht es die Frauenquote der PARTEI vor. Auf dem Weg nach Hause kommen wir an Berlins größter Baustelle vorbei – die Mauer wird wieder aufgebaut. Unsere Eltern hatten einen heftigen Streit darüber, ob sie in der westlichen Zone bleiben oder in die östliche Sonderbewirtschaftungszone ziehen sollen. Für meine Schwester ist die Entscheidung klar: Sie will Westberlinerin sein, so wie Knut.

(Josephine Valeske, 17 Jahre)



Wenn Annabel morgens in die Schule kommt, geht sie nicht zuerst in den Unterricht, sondern schlägt den Weg zur Sporthalle ein. Dort hat sich bereits der Rest ihres Jahrgangs eingefunden, um den allmorgendlichen Yoga-Übungen nachzugehen. Eine Stunde lang turnen die Schüler auf ihren Matten, lauschen ihrem Atem und konzentrieren sich vollkommen auf das Zusammenspiel des Körpers und der Seele. Nachdem die Violetten in Deutschland an die Regierung gekommen sind, war eine der ersten bildungspolitischen Entscheidungen der Partei, jeden Schultag auf diese Weise beginnen zu lassen. Danach geht Annabel pünktlich in den Unterricht, holt ihre Gitarre aus dem Schrank und beginnt, mit den anderen zu spielen, um ihre Sozialkompetenz zu stärken: Heute geht es darum, das „Aufeinander-Hören“ zu fördern – bis ein sanftes Meeresrauschen die Pause ankündigt. Die typische, schrille Schulklingel hat früher schlechte Schwingungen verbreitet und wurde daher ersetzt.

Um sich selbst zu entfalten, darf Annabel den Mathematikunterricht heute ausfallen lassen und sich den ganzen Tag philosophisch-spirituellen Inhalten widmen. Denn was hat ihr ihre Erzieherin am Anfang des Schuljahres gesagt? „In der Seele sind – wie bei einem Samenkorn – alle Fähigkeiten, Begabungen und Lebensaufgaben bereits angelegt. Deshalb ist es unsinnig, einem Kind Dinge beizubringen, die nicht als Potenzial in seiner Seele zu finden sind.“ Damit hat Annabel kein Problem. Sie atmet tief in die Mitte und beginnt – im Einklang mit sich selbst – mit ihren Tai-Chi-Übungen.

(Corinne, 17 Jahre)

Ich sitze am Rand unseres Schulsportplatzes und lausche den Fußballteams beim Singen der deutschen Hymne: „Gott mit dir, du Land der Bay­ern, deutsche Erde, Vaterland! Über deinen weiten Gauen, ruhe seine Segenshand.“ Seitdem die Bayernpartei überraschenderweise die absolute Mehrheit im Bundestag erlangt hat, gab es so einige Veränderungen. Nicht nur, dass das Lied der Bayern als neue Hymne für ganz Deutschland eingeführt wurde. Auch darüber hinaus ist die Bundesrepublik süddeutscher geworden. Das betrifft auch die Schulen. Erst letzte Woche wurden unsere alten Geschichtsbücher gegen neue eingetauscht, da sie zu preußisch waren. Als mein Banknachbar sich auch nach dreifacher Aufforderung nicht von seinem Wälzer trennen wollte, schickte unsere Lehrerin ihn vor die Tür, mit den Worten: „Jetzt schaust aber, dass di schleichst.“

Da nun der „Schutz der regionalen Sprache“ eine hohe Priorität hat und Schüler und Lehrer wegen des „Gebrauchs der Mundart“ nicht benachteiligt werden dürfen, ist Bayerisch quasi das neue Hochdeutsch. Und wie das immer so ist, müssen sich die größten Trottel in der Klasse dann noch profilieren. So bietet Toni der Lehrerin gleich an: „I glaab, der k‘hert amol aufg‘mischt!“ Und Xaver springt freudig auf und ruft: „A Packerl Watschn is glei aufg‘rissen!“

Nicht weniger kampfeslustig geht es in den Schulbussen zu. Obwohl die Partei vor den Wahlen noch von einer Sitzplatzgarantie in Schulbussen sprach, kriegt man nicht selten von jemandem den Rucksack ins Gesicht gerammt: „Is bei eich no’ frei?“ „Hock di hera, dann samma mera!“ ist die Antwort, die von einem erwartet wird. Ähnlich wie an den langen Biertischen auf „de Wiesn“ quetscht man sich auf die Sitzplätze. Soweit ich weiß, wird der Antrag auf zusätzliche Ferien für den gesamten Oktober im Moment gerade noch geprüft. Aber, jetzt mal ganz ehrlich: Is mir des wurscht!

(Aniko Schusterius, 17 Jahre)



Die 14-jährige Mareike kommt gerade von ihrer Bibellehre nach Hause. Jeden Dienstag findet die an ihrer Schule statt. Sie hat gelernt: Wenn sich jeder Jesus Christus zum Vorbild nimmt, werden immense Segensströme von Gott freigesetzt. Mit diesem Gedanken kann sich Mareike beruhigt an den Essenstisch setzen, an dem ihr Vater und ihre Mutter schon auf sie warten. Vor einigen Monaten wollten sich ihre Eltern noch scheiden lassen, doch nachdem die Partei Bibeltreuer Christen (PBC) den Bundeskanzler stellt und eine neue Familienpolitik ausgerufen hat, ist das nicht mehr so einfach. Die Verantwortung ihrer Eltern vor Gott und den anderen Menschen ist zu groß, um ihnen den Weg zur Scheidung leicht zu machen. Stattdessen wird ihnen Hilfe vom Staat geboten, um ihre Ehe zu retten. Ihre Eltern verstehen sich nun wieder blendend am Essenstisch, auch wenn sie irgendwie wenig miteinander reden. Mareike hat aber sowieso nicht viel Zeit, sich zu unterhalten, da sie sich noch an ihren Schreibtisch setzen muss, um das neue Schulgebet zu lernen.

Früher hätte sie sich danach mit ihrem alten Hobby, der Astrologie, beschäftigt, doch da die inzwischen als unchristlich gilt, wäre das absolut verpönt. Die „Bravo“, in der sie sich früher immer ihr Monatshoroskop durchgelesen hat, gibt es ohnehin nicht mehr. Die Stärkung des Jugendschutzes durch die PBC hat dazu geführt, dass sie eingestellt wurde. Der Grund dafür war die Doktor-Sommer-Seite mit ihren „pornografischen Darstellungen junger Menschen“. Mareikes neues Hobby ist jetzt, zu stricken und dabei „Bibel TV“ zu gucken. Bevor sie sich jedoch dieser spannenden Freizeitbeschäftigung zuwenden kann, muss sie noch die Heilige Schrift weiter studieren. Sie hängt in den Bibellehrstunden etwas hinterher und muss fleißig sein, wenn sie in dem Pflichtfach nicht durchfallen möchte.

(Charlotte Falinski, 14 Jahre)

Das könnte Dich auch interessieren

  • Schmutzig, kaputt und veraltet

    Berlins Schultoiletten sind berüchtigt. An der Anna-Lindh-Grundschule protestieren nun die Eltern  …

  • Wahl 2013

    Von Patrick Schmitt, 19 Jahre   Die heiße Phase des Wahlkampfs hat…

  • Visionen im Realitätscheck

    von Vivian Yurdakul, 20 Jahre „Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns…

  • Klischees auf Abwegen

    Im Roten Rathaus wurden die neuen „Start“-Stipendiaten des Landes Berlin geehrt Von…

Kategorien Politik

90er-Kid, Bücherwurm, Weltenbummler. Ich liebe Musik und das geschriebene Wort. Letzteres kann man von mir seit 2012 hier lesen. Meine große Leidenschaft gilt dem Theater, das mich mehr als alles andere fasziniert. Wenn ich durch die Straßen Berlins laufe, kommt mir das Leben vor wie eine Aneinanderreihung vieler kleiner Inszenierungen, deren Geschichten alle festgehalten werden wollen. So inspiriert mich unsere Hauptstadt stetig zu neuen Themen für unsere Seite.