Liebe, Zukunft, Leben: Anne Frank hat geträumt, wie jeder Jugendliche es tut.
Foto: Universal Pictures

Ein kurzes Leben voller Träume

Seit dem 3. März läuft „Das Tagebuch der Anne Frank“ im Kino:

Es ist eine Geschichte, die wir alle kennen: Ein jüdisches Mädchen versteckt sich mit seiner Familie im Hinterhaus eines Amsterdamer Geschäftes vor den Nationalsozialisten, schreibt in seinem Tagebuch darüber. Es ist die Geschichte von Anne Frank. Erstmals greift ein deutscher Film den vielfach rezipierten Stoff auf und sogleich lassen sich eine sepiagetünchte Weltkriegsästhetik und Historienfilmtotalen vermuten. Aber stattdessen erzählt „Das Tagebuch der Anne Frank“ überraschend modern und sehr subjektiv von einem Mädchen, das sich teenagertypisch im Widerstreit mit sich und der Welt befindet.

Im Fokus stehen Konflikte mit den Eltern, Erwartungen an das Leben, das Erwachen zärtlicher Gefühle. Alles vor dem Hintergrund von Antisemitismus und Grausamkeiten der NS-Diktatur, deren Dimensionen innerhalb des privaten Leidenshorizontes der Familie plausibel gemacht werden. Nahaufnahmen kleinster Details des Hinterhausalltags verweisen auf Annes scharfe Beobachtungsgabe, die in der literarischen Vorlage mit ihrer klugen und klaren Sprache hervortritt. Dadurch verliert der Film an Distanz, Annes Realität wird greifbar. Ab und zu verschwimmen die fiktionalen Grenzen und Anne wendet sich direkt an die Zuschauer. Für einen Augenblick dürfen wir ihre „Kitty“, so nennt sie ihr Tagebuch, sein. Anne wird nicht zur heroischen Figur stilisiert, sondern als das gezeigt, was sie war: ein normaler Teenager.

Liebe, Zukunft, Leben: Anne Frank hat geträumt, wie jeder Jugendliche es tut. Foto: Universal Pictures
Liebe, Zukunft, Leben: Anne Frank hat geträumt, wie jeder Jugendliche es tut. Foto: Universal Pictures

Dass es sich bei den Hinterhausbewohnern nicht zuallererst um Opfer, sondern um Menschen handelt, wird in vielen positiven Momenten deutlich. Der unverhoffte Luxus frischer Erdbeeren oder das gemeinsame Lauern auf gute Nachrichten vor dem Radio wandeln die Stimmung im Versteck und werden szenisch voll ausgekostet. Und Anne träumt: von ihrem ersten Freund, neuen Kleidern, ihrer Karriere als Schriftstellerin …

Anne-Darstellerin Lea van Acken verkörpert mit großem schauspielerischem Talent eine selbstbewusste und starke Heldin. Schade, dass Regisseur Hans Steinbichler die radikale Subjektivität nicht konsequent durchhält. Die schweren Klaviermelodien im Hintergrund reizen die Tränendrüse und erzeugen einen akustischen Kitsch, der Annes vor klugem Witz sprühender Natur und ihrem Optimismus nicht gerecht wird. Dennoch berührt der Film bis zur letzten Sekunde und schürt die heimliche Hoffnung auf ein Happy End. Doch wir alle wissen, wie Annes Geschichte ausgeht, und der Film erzählt sie schonungslos zu Ende. Denn auch die kitschige Musik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Anne Franks Tagebuch kein Märchen ist.

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Kategorien Film & Fernsehen Medien

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.