Immer sehenswert, nicht immer vergnüglich

Im Rahmen der Berlinale findet der Jugendfilmwettbewerb Generation 14plus statt


Szenen aus den Filmen "Touch of the Light", "Pluto", "Shopping" und "Baby Blues". Fotos: JET TONE FILMS, SH FILM, JOSEPH KELLY, LUKASZ NIEWIADOMSKI

Von Hollywood bis Bollywood schaut im Moment die ganze Filmwelt auf unsere Stadt. Seit Donnerstag laufen die 63. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Seit 2004 ist auch der Jugendfilmwettbewerb Generation 14plus Teil der Berlinale. Die Jugendredaktion hat einige der Filme, die in dieser Kategorie eingereicht wurden, gesehen und stellt sechs der vielversprechendsten vorab vor:


Türkei: Im Südosten der Türkei herrscht Krieg zwischen der Armee und den kurdischen Rebellen. „Jîn“, der Eröffnungsfilm des Jugendfilmwettbewerbs „Generation 14plus“ erzählt die fiktive Geschichte um die 17-Jährige Jîn. Die junge Kurdin gehört einer Gruppe der Guerilla an. Eines Nachts setzt sie sich jedoch von ihnen ab, mit dem Ziel in einen friedlichen Teil der Türkei zu fliehen. Zwischen Explosionen und Kugelhagel ist sie mitten in den Bergen auf sich allein gestellt. Ein Fokus des Films liegt auf der schönen und zugleich unheimlich wirkenden Natur. Doch sogar wilde Tiere wie Bären sind ihr wohl gesonnen: Selbst Opfer der Kämpfe, stellen sie sich als ihre einzig wahren Verbündeten heraus. Gefahr droht von den Menschen: Aus dem Nichts wird auf sie geschossen, Soldaten nehmen sie gefangen, Männer belästigen sie. Jîn ist misstrauisch und stark, sie weiß sich zu wehren. Umso erschütternder sind die Momente, in denen sie sich voller Angst und außer Atem versteckt und weint. Trotz der Grausamkeit um sie herum und obwohl sie von anderen kaum Hilfe erfährt, hilft Jîn, wenn Schwächere in Not sind. Der Film weist eine durchgängige Spannung und Tragik auf, die unter anderem durch die Filmmusik erzeugt wird: langsame, traurige Streichmusik. Die dokumentarische Kameraführung lässt die Geschichte auf erschreckende Weise real wirken und entwickelt eine intensive Nähe zur Hauptfigur Jîn. Der Film um Jîns Fluchtversuch ist sehr bedrückend und lässt schon früh kein Happy End erwarten. Julika Bickel (23 Jahre)


Korea: Der Psychothriller „Pluto“ von Regisseur Shin Su-won beginnt mit einem Mord: Der beste Schüler an einer koreanischen Elite-Highschool ist tot. Verdächtigt wird der Mitschüler June. Lange Rückblenden erzählen Junes Geschichte, von seinem Start an der neuen Schule bis zum Zeitpunkt des Mordes. June kommt aus armen Verhältnissen, er ist talentiert und wird deshalb von einigen Mitschülern als Gefahr betrachtet. Denn jeder will der Beste sein. Den Rahmen des Films bildet die Krimihandlung, der Fokus liegt aber weniger auf der Aufklärung des Falls als auf dem erbarmungslosen Wettstreit zwischen den Schülern. Die besten zehn, zu denen auch June gehören will, bilden die so genannte „Special Class“, die besonders gefördert wird. Die Clique tut alles, um an der Spitze zu bleiben – Mitschüler werden schikaniert, eingeschüchtert, sexuell belästigt oder ermordet. „Pluto“ erzählt das Schicksal eines Jugendlichen, der in einem System aus Leistungsdruck, Angst und Egoismus gefangen ist. Julika Bickel (23 Jahre)


Neuseeland: Willie ist Halb-Samoaner, ungefähr 17 Jahre alt und hat eine schwere Kindheit. Der Film „Shopping“ spielt im Jahr 1981, zu dieser Zeit ist in der neuseeländischen Kleinstadt, in der Willie lebt, Rassismus allgegenwärtig, genauso wie Kriminalität und Gewalt. Willie kümmert sich um seinen neunjährigen Bruder Solomon und tut alles, um ihn vor ihrem gewalttätigen Vater zu beschützen. Als Willie aber in dem Kleinkriminellen Bennie einen Vaterersatz findet, sieht er eine Möglichkeit, seinem Alltag zu entfliehen und gerät dabei in die kriminelle Unterwelt. Solomon vereinsamt währenddessen und ist ohne seinen Bruder den Wutanfällen und der Gewalt des Vaters hilflos ausgesetzt. Die Situation eskaliert, da sich Willies zwei Leben nicht miteinander vereinbaren lassen. Der Film scheint kaum eine Situation kameragerecht zu beschönigen, sondern zeigt die Realität mit ihren erschreckenden Seiten, sodass er einem lange im Gedächtnis bleibt. Johanna Siebert (18 Jahre)


China: Der blinde Huang Yu-­Siang hat ein großes Talent: die Musik. Er verlässt seine Heimat, um in Taipeh Klavierspiel zu studieren. In „Touch of the Light“ tastet er buchstäblich die neue Umgebung ab und kämpft gegen das Alleinesein. Doch Angst hemmt ihn: Erst durch sein kraftvolles Klavierspiel kann Yu-Siang zu sich zurückfinden und der Welt zeigen, wozu er fähig ist. Auf seinem Weg begegnet er Menschen, die ihn lehren, sich fallen zu lassen. Er kann ihnen etwas zurückgeben: Sein Spielen öffnet den Menschen das Herz. Es ist ein warmer Film mit nebulösen Bildern und kraftvoller Geräuschkulisse, der sensibel macht für die Anstrengungen im Leben. Leyla Sophie Gleissner (21 Jahre)


Kenia: Jeder Mensch braucht eine Familie, das ist eine Kernaussage des Dokumentarfilms „Tough Bond“. In Kenia gibt es nur noch wenige, die in einer traditionellen Familiengemeinschaft leben. Der Hunger treibt sie auseinander und schließlich auf die Straße. Der Film schildert den Überlebenskampf anhand von vier Einzelschicksalen: Vier Jugendliche versuchen eine Art Familie zu finden. Die Bilder erschrecken: Überall sieht man Kinder und Jugendliche mit einer Flasche mit billigem Klebstoff, um die Sorgen und den Kummer zu vergessen. Ein Junge erzählt, dass der Hunger vergehe, es keinen Stress und keine Kälte gäbe, wenn man Klebstoff schnüffelt. Besonders verstörend sind die Aufnahmen ganz kleiner Kinder mit der Klebstoffflasche im Mund. Sowohl die Regierung als auch der Klebstoffhersteller versuchen sich aus der Verantwortung zu ziehen, erzählen von ihren Erfolgen oder behaupten, sie wären unschuldig und machtlos. Die Bilder sind ehrlich und intim. Die Kinder sind allein gelassen, haben Angst, HIV-positiv zu sein, manche arbeiten als Prostituierte und alle schnüffeln Klebstoff, um das Elend zu ertragen. Die Regisseure Austin Beck und Anneliese Vandenberg aus den USA schaffen es, eine bedrückend nahe Perspektive einzunehmen und lassen den Zuschauer miterleben, wie die Jugendlichen verzweifelt Geborgenheit suchen. Julika Bickel (23 Jahre)


Polen: „Baby Blues“ zeigt den Alltag der Teeniemutter Natalia, zwischen Windelnwechseln und Drogenabsturz, zwischen Selbst-noch-Kind-sein-Wollen und dem Anspruch, eine gute Mutter zu sein. Auf Rollschuhen und mit Kinderwagen schlittert sie durch ihr junges Leben. In Bildern, die den Zuschauer quälen, erzählt Regisseurin Kasia Roslaniec eine Geschichte vom Verlust. Natalias Kampf, einen Platz in der Welt zu finden, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die große schauspielerische Leistung der jungen Darsteller macht „Baby Blues“ zu einem sehr guten Film. Nichts für Zartbesaitete hinterlässt er einen bitteren Nachgeschmack und ist damit sehenswert, aber nicht vergnüglich. Leyla Sophie Gleissner (21 Jahre)

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