Rührendes Linoleum

Einer auf dem Bild ist 36 Jahre alt: Christian Ulmen in seinem neuen Film. Foto: Delphi Filmverleih

Realitätscheck: Das Filmexperiment „Jonas“ zeigt einen Schauspieler in einer echten Schule. Echt?


Von Vivian Yurdakul, 21 Jahre


Neulich Abend habe ich meine alten Lehrer wiedergesehen: Frau Schröder, Frau Maschke, Herrn Stahl und viele andere, die mich auf der Oberschule unterrichtet haben. Obwohl ich seit drei Jahren nicht mehr ihr Schüler bin, war alles wie früher. Die gleichen trockenen Sprüche, die gleichen Standpauken. Nur saß ich anders als früher meinen Lehrern nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Ich sah sie auf einer Kinoleinwand. Und anders als früher beschwerten sie sich nicht über mein Betragen, sondern über das eines stark verjüngten Christian Ulmen.


Der 36-jährige Schauspieler hat seinen neuen Film „Jonas“ an der Paul-Dessau-Gesamtschule in Zeuthen gedreht, meiner alten Schule. Mit ihm selbst als einzigem Schauspieler. Sechs Wochen besuchte Ulmen als 18-jähriger Jonas eine zehnte Klasse. Ein Drehbuch gab es nicht, außer Ulmen war alles echt. Der Film ist eine Mischung aus Fiktion und Dokumentation und lässt sich keinem herkömmlichen Genre zuordnen.


Uneins ist sich die Kritik darüber, ob das filmische Experiment geglückt ist. Was ich dem Film jedoch guten Gewissens attestieren kann, ist Authentizität: Während die Kamera durch die Flure und Treppenhäuser meiner alten Schule fährt, steigt mir im Kinosaal der Linoleumduft wieder in die Nase. Das ist, glaube ich, das größte Kompliment, das man dem Film als ehemaliger Schüler der Paul-Dessau-Gesamtschule machen kann. Alles ist genau, wie ich es kenne: Die Aufforderung der Ethik-Lehrerin Frau Schröder an Jonas, sich einen Platz zu suchen, gefolgt von dem routiniert vorgetragenen „Die erste Bank bleibt frei, die brauch ich zum Hinsetzen“, den die Schüler mit einem eher müden Auflachen quittieren, weckt Erinnerungen. Außerdem kam  die moralische Grundsatzrede des Chemielehrers nach dem schlecht ausgefallenen Test damals wohl doch nicht aus dem Stegreif, sondern ist offenbar ein alljährlich wiederkehrendes Ereignis, das nun auch endlich filmisch verewigt wurde. Und schließlich ist da auch die einstige Klassenlehrerin, die bei einer holprigen Megafonansprache von Jonas auf dem Schulhof mit den Händen rudert, mitfiebert, wie sie es früher getan hat, wenn wir in unseren Referaten den roten Faden verloren.


Natürlich habe ich mir „Jonas“ mit alten Klassenkameraden angesehen. Als wir das Kino verließen, waren wir wehmütig und uns einig: Es war ein gelungenes Wiedersehen.


Jonas, D 2011. Regie: Robert Wilde, 106 Minuten, FSK ab 6. Mehr Infos hier.

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