Foto: GEORGI LICOVSKI/EPA

Hier hilft nur noch Hilfe, Herr Seehofer

Erwachsene Flüchtlinge drängen sich nach vorne, eine Wand aus mazedonischen Grenztruppen schiebt sie zurück – mittendrin zwei Kinder. Die schiere Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Chaos, Verzweiflung, Brutalität.

Hannah Meudt hofft, dass in der Flüchtlingsdebatte wieder die Menschlichkeit in den Vordergrund rückt. (Foto: PRIVAT)
Hannah Meudt hofft, dass in der Flüchtlingsdebatte wieder die Menschlichkeit in den Vordergrund rückt. (Foto: PRIVAT)

Das Foto, das Georgi Licovski am 21. August des vergangenen Jahres an der griechisch-mazedonischen Grenze aufnahm, ging um die Welt. Nun wurde es von Unicef Deutschland und dem „Geo Magazin“ als Foto des Jahres 2015 prämiert. Diese Würdigung wird Aufnahmen zuteil, die die Lebensumstände und Persönlichkeit von Kindern auf der ganzen Welt festhalten. Dass die ersten drei Auszeichnungen an Fotografen gingen, deren Fotos Flüchtlingskinder abbilden, sendet ein wichtiges Signal: Die Flüchtlingskrise ist eine, wenn nicht sogar die größte politische und soziale Herausforderung, der wir uns zurzeit gegenübersehen.

Angesichts der Vielzahl von Asylsuchenden macht sich zunehmend Überforderung breit. Die deutsche Bevölkerung fand sich in den vergangenen Monaten gespalten zwischen Willkommenskultur und Parolen in verschiedenen Braunschattierungen.

Ende des Jahres war in der Politik nun immer häufiger von Zahlen die Rede statt von Menschen. Fast 1,1 Millionen Flüchtlinge in 2015, 477 000 Asylanträge, mehr als 800 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, minus elf Grad am Lageso, wo täglich 200 Fälle bearbeitet werden können, aber 800 Menschen warten. Und dann nannte CSU-Chef Horst Seehofer vor wenigen Tagen plötzlich eine neue Zahl: 200 000. Maximal so viele Flüchtlinge will er pro Jahr einreisen lassen.

Das Unicef-Foto des Jahres 2015 zeigt zwei Flüchtlingskinder an der griechisch-mazedonischen Grenze. Foto: GEORGI LICOVSKI/EPA
Das Unicef-Foto des Jahres 2015 zeigt zwei Flüchtlingskinder an der griechisch-mazedonischen Grenze. Foto: GEORGI LICOVSKI/EPA

An dieser Stelle lohnt abermals ein Blick auf Licovskis Foto, um sich wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass es hier um Menschen geht, darunter unzählige Kinder. Unzählig nicht nur, weil es bisher kaum konkrete Zahlen gibt. Laut einer Unicef-Schätzung war jeder vierte Flüchtling, der 2015 über die Balkanroute in die EU kam, minderjährig. Rund 60 000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge erreichten während der vergangenen zwölf Monate Deutschland. Unzählig sind die Flüchtlingskinder aber auch deshalb, weil es mit Zählen und Zahlen, mit Grenzen und Begrenzung nicht getan ist. Seinen Geburtsort kann sich niemand aussuchen. Licovski wurde gerade zum richtigen Zeitpunkt ausgezeichnet: Er rückt all jene Unschuldige in unser Blickfeld, denen das schwere Schicksal zuteil wurde, an einem unsicheren Ort auf die Welt zu kommen. Hier hilft nur Hilfe.

Wie es für die Kinder auf dem Foto weiterging, ist nicht bekannt. Wären sie Nummer 200 001 und 200 002 an der deutschen Grenze, würden Sie die beiden abschieben, Herr Seehofer? Ich könnte es nicht.

Von Hannah Meudt, 24 Jahre

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