Die Darsteller von Hamlet in der JSA Berlin

In der Jugendstrafanstalt Berlin spielen Häftlinge Theater

Der Verein aufBruch macht seit 2005 Gefängnistheater mit jungen Männern. Aktuell auf dem Programm: Shakespeares Hamlet.

Intrigen, Mord, ein letzter Kampf und das dänische Königsgeschlecht ist ausgelöscht. Dann geht das Licht an, der Vorhang noch einmal auf und unter tosendem Applaus lässt sich das Ensemble vom Publikum feiern. Ob den Darstellern das Stück „Hamlet“ gefallen habe, fragen die Zuschauer, bei dieser Vorführung allesamt Pressevertreter. „Ja, aber das war halt ganz schön krass, was Hamlet da gemacht hat. Mit töten und so.“ Und welche Szene war am besten? „Definitiv der Kampf am Ende.“ Da geht ein Lachen durch die Menge, stehen vor ihr doch 13 Gefangene der Jugendstrafanstalt Berlin, die vermutlich alle selbst schon etwas „Krasses“ durchlebt haben.

Die Jugendstrafanstalt Berlin (JSA) bringt bis zu 423 Häftlinge im Alter von 17 bis 27 Jahren unter. Im Schnitt verbringen sie dort etwa 18 Monate, in denen sie einen Schulabschluss oder gar eine Ausbildung machen und lernen können, über sich hinauszuwachsen. Darauf arbeitet auch der Verein aufBruch seit 2005 mit seinem Gefängnistheater hin: die jungen Männer zu sensibilisieren und motivieren, etwas durchzuhalten und zu Ende zu bringen.

Was sie angestellt haben, sei dabei nicht wichtig, sagt Produzentin Sybille Arndt, von Schwarzfahren bis Tötungsdelikten sei jedenfalls alles dabei. Dennoch dürfe jeder mitmachen. Und damit auch jeder seine Rolle findet, werde das jeweilige Werk angepasst. „Wir veranstalten zwar ein Casting, aber dabei casten die Insassen eher uns und unsere Idee als umgekehrt“, erzählt Arndt. Die Jugendlichen schreiben nicht selten eigene Texte und lassen diese einfließen.

Eine Frau spielen? Davon war Fero erst gar nicht überzeugt

„Sein oder nicht sein. Im Leben mit dabei sein oder nicht? Ein Täter sein oder nicht? Mein Verhalten sein oder nicht? Ein Verräter sein oder nicht sein? Ein Freund sein oder nicht sein? Ein Lügner sein oder nicht sein? So sein, wie man ist, oder nicht sein? So sein, wie man gern wäre, oder nicht sein?“

Jalal (der Künstlername ist wie bei allen Darstellern selbst ausgesucht) nimmt dieses Jahr erneut teil: „Es ist mal etwas anderes, als um 6 Uhr aufzustehen, zur Arbeit zu gehen und abends wieder ins Bett. Und es ist lustig mit den anderen.“

In sieben Wochen wird das Stück dann geprobt. Viermal die Woche für mehrere Stunden, Sprach- und Gesangstraining inklusive. Von den anfangs 18 Teilnehmern stehen nun 13 auf der Bühne. „Zu Beginn muss aus diesen Einzelkämpfern, die sich oft nicht kennen, eine Gruppe werden“, sagt Regisseur Peter Atanassow. „Das ist wohl der schwierigste Punkt, denn da wachsen sie entweder zusammen oder klinken sich aus.“ Atanassow ist deshalb auch ein Motivator. Eine Frau spielen? Fero war anfangs ganz und gar nicht überzeugt, doch der Regisseur erklärte ihm, wie wichtig die Rolle sei – und so schlüpfte der Junge, wie zu Shakespeares Lebenszeiten bei Frauenrollen üblich, in Reifrock und Kleid und gab die Ophelia zum Besten.

Nach dem Auftritt geht es zurück in die Zellen

Vor dem Theaterprojekt kannte keiner der Schauspieler Shakespeares Werke. Auch das ist Aufgabe von aufBruch: Kulturarbeit leisten. In regelmäßigen Abständen veranstaltet der Verein auch Außenproduktionen, bei denen Ex-Gefangene, Freigänger, professionelle Schauspieler und Berliner Bürger mitspielen. Doch Jalal will daran nicht teilnehmen: „Unter uns ging das, aber da draußen kann ich nicht mithalten.“

Und dort stehen sie nun umringt von begeisterten Zuschauern. Verschwitzt und stolz. Stolz, diese Sache zu Ende gebracht zu haben. Stolz, dass ihre Eltern sehen werden, was sie geleistet haben. In diesem Moment wirkt der Kultursaal der JSA nicht wie ein Gefängnis und die Jungs wirken auch nicht wie Häftlinge. Doch nach ein, zwei Scherzchen über das Ausbrechen geht dann eben doch jeder seines Weges. Sie in die Zellen, die Journalisten verlassen Schloss Kronborg, das an diesem Abend in Charlottenburg liegt und mit Gittern und Stacheldraht gesichert ist.

Beitragsbild: Thomas Aurin

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Kategorien Kultur Spreewild Theater

Statt Netflix verfolge ich Konzerte. Ich (20 Jahre) brauche keine Sojamilch, sondern guten Kaffee. Mein Yoga ist es, auf viel zu vielen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Dabei ist der Eisbär mein Patronus, den meine Eltern mir mit sieben Jahren einfach nicht als Haustier erlaubten. Aber wenn eine Idee von der Außenwelt für verrückt erklärt wird, dann muss sie erst recht verwirklicht werden, und eben jene Personen mit Mut und außergewöhnlichen Gedanken sind es, von denen die Welt wissen sollte. Was kann ich da sinnvolleres tun, als für Spreewild zu schreiben? Die Verhandlungen um den Eisbären laufen jedenfalls weiter.