So ein Theater

Im Theater Ramba Zamba verwirklichen Menschen mit Behinderung ihren Traum vom Schauspielern

„Was ist Mist auf der Erde?“ ruft die Regisseurin Gisela Höhne den Schauspielern zu.

Gisela Höhne, schwarze, kurze  Haare, Cowboystiefel, violette Seidenbluse und schlicht geschnittene knallrote Lederjacke ist die Leiterin des wohl verrücktesten Theaters Berlins: Ramba Zamba. Ein Theater für so genannte geistig behinderte Menschen. 13 Schauspieler haben in ihrem Ensemble einen Arbeitsplatz.

„Hundescheiße“, antwortet ihr zögernd ein Schauspieler. „Autoabgase und Umweltkatastrophen“, antwortet der nächste.
„Lügen, sich über jemand lustig machen“, „Korruption“, „Geiz und Gier“.

Jetzt brummt ein Mistkäfer durch die Probebühne. Bei genauerem Hinsehen ist es ein Schauspieler, der kauernd mit einem großen schwarzen  Sitzsack überdeckt vorsichtig seine Hände als Fühler hervorgucken lässt. Der Mistkäfer muss mit Mist gefüttert werden, um zu den Göttern zu fliegen und die Friedensgöttin zu befreien. Und zwar mit dem Mist der Welt.

Gerade erarbeitet die Truppe das Stück „Frieden“ zum 20-jährigen Jubiläum. Das Theater probt jeden Tag von 9 bis 16 Uhr. Morgens gibt es ein Warming up mit Dehn-Kräftigungs-  und Konzentrationsübungen, etwa Rhythmus klatschen oder das Erlernen einzelner Tanzschritte. Nach einem gemeinsamen Frühstück fangen die Proben an. Außer einer Pause für das Mittagessen wird dann durchgezogen.

Das Theater gehört zur Sonnenuhr. Die Sonnenuhr ist eine Behindertenwerkstatt  im ehemaligen Pferdestall der Kulturbrauerei, ein restauriertes Brauerei-Fabrikgelände in Prenzlauer Berg. Sie hat eine proffessionelle 10  x 12 Meter große Bühne und umschließt nicht nur das Ramba Zamba Theater und eine weitere Theatergruppe, die Kalibani, sondern auch den Kinder- und Jugendzirkus Sonnenstich, eine Malerei-Grafik-Druckwerkstatt und eine Keramik-, Web- und Stoffgestaltungswerkstatt. Außerdem werden Trommel- und Fotografiekurse angeboten.
Zu den verschiedenen Theaterinszenierungen gibt es musikalische Unterstützung durch eine Liveband.

Ein begeisterter Trommelspieler und Sänger der Liveband, hauptberuflich jedoch Schauspieler in der Ramba Zamba Truppe, ist Reiner. Er ist 44 Jahre alt, klein und stämmig, mit einer spitzen Nase, blonden kurzen Haaren, und blauen Turnschuhen.

Reiner gehört, wie die meisten Schauspieler hier, zu den Menschen, die ein  Down-Syndrom haben.  Seine berufliche Kariere begann in einer Schnapsfabrik. Dort stellte er Flaschen auf eine Platte, nachdem sie eingeschweißt wurden. Die Zusammenarbeit mit seinen Arbeitskollegen, den anderen Fabrikarbeitern, war eine Kathastrophe. Sie taten ihm weh und belästigten ihn sexuell.
„Die haben mein Hemd zerrissen und mich an meinen Penis gefasst. Das hat höllisch wehgetan“, erzählt Reiner mit abgewandtem Gesicht. Danach verdiente er sich Geld in einem Krankenhaus mit Treppen wischen und Einkaufen. Nachdem er ein Theaterstück von Ramba Zamba gesehen hatte, war es sein größter Wunsch, dort Schauspieler zu werden. Jetzt ist Reiner schon 17 Jahre in der Truppe.

„Alle  meine Freunde habe ich hier im Theater beisammen. Wir treffen uns auch außerhalb des Theaters und gehen ins Kino oder trinken Tee „, sagt er und lächelt dabei Hans an. Hans nickt mit seinem dunklen, leicht ergrauten Haarschopf, hebt eine schwarze kräftige Augenbraue und schmunzelt zurück. Er ist der größte der Theatergruppe, zählt 48 Lebensjahre und verbringt auch schon 17 Jahre hier im Theater. In seiner Jugend war er Gärtner.

Damals musste er acht Stunden am Tag selbst bei brennender Hitze im Gewächshaus die Pflanzen bewässern und Unkraut jäten. Mit 23 Jahren ließ er sich wegen seiner häufigen Kopfschmerzen untersuchen. Die Ärzte entdeckten ein faustgroßes Gehirntumor, welches sofort entfernt werden musste. Zwei Tage später wäre der Tumor geplatzt, und durch die folgenden Gehirnblutungen wäre Hans fast gestorben. Er arbeitete nicht weiter als Gärtner. Die epileptischen Anfälle wurden zu häufig. Mindestens zehn Tabletten am Tag sollten Hans fit halten. „Die Nebenwirkungen der Tabletten waren so stark, dass ich manchmal einfach eingeschlafen bin. Ohne es zu merken. Beim Einkaufen zum Beispiel.“ Nachdem er dann wie Reiner durch eine Aufführung des Ramba Zamba Theaters Lust aufs Schauspielern bekam, konnte er die Anzahl der Tabletten immer weiter reduzieren. Heute ist er bei viereinhalb Stück und innerhalb der nächsten Monate soll eine weitere abgesetzt werden.

„Schluss für heute“, ruft jetzt Gisela, und die Schauspieler verlassen schwitzend die Probebühne, in der sie heute fünf Stunden  für das neue Stück geprobt haben. Gisela, für ihre Arbeit ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande, muss gleich weiter zu einer Versammlung. Dort besprechen die um die 60 Mitarbeiter den organisatorischen Umgang mit einem großen finanziellen Problem. “ So wie es jetzt ist, muss es ja nicht bleiben“, meint die Assistentin der Geschäftsführung Bianca Tänzer.  „Das Theater wird weiter laufen und wer weiß, was uns da in der Zukunft erwartet.“

Schließlich hat Reiner noch einen großen Traum. Einmal  mit seiner Liveband im Olympiastadion ein Fußballspiel eröffnen.

Mehr Infos unter www.theater-rambazamba.org

von Julieta Jacobi, 17 Jahre

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Kategorien Kultur Theater

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