Kostenlose Zugfahrkarte für junge Europäer: #FreeInterrail ist noch nicht vom Tisch

Die Idee eines kostenlosen Interrail-Tickets für alle Jugendlichen zum 18. Geburtstag fand in der Öffentlichkeit zuletzt viel Anklang. Das Projekt wurde zwar nun von der EU-Kommission verworfen, doch das Aktivistenduo HERR&SPEER gibt sich noch nicht geschlagen.

Europa entdecken, es kennen und wertschätzen lernen. Eingeführt am 1. März 1972, dem 50. Jahrestag der Internationalen Eisenbahngesellschaft, hat Interrail bis heute den Anspruch, Menschen Europa nahe zu bringen und nationalistischem Denken entgegenzutreten – sprich, die Leitphilosophie einer europäischen Wertegemeinschaft allen zugänglich zu machen. Jedes Jahr treten 170 000 vornehmlich junge Menschen diese Reise an, die meist zwischen zehn Tagen und sechs Wochen andauert. Die Kosten für ein solches 30-Länder-Ticket liegen dabei zwischen 200 und 500 Euro, immer abhängig davon, wie viele Tage man pro Woche reisen möchte.

170 000 – eine ganze Menge, möchte man meinen. Dieser Eindruck relativiert sich schnell, wenn man bedenkt, dass in der EU rund 200 Millionen Menschen unter 35 Jahren leben. Kritisiert wird oft, dass sich insbesondere jene jungen Menschen das Ticket leisten würden, deren Eltern ohnehin pro EU eingestellt sind und Jugendliche aus sozial schwächer gestellten Familienstrukturen kaum einen Zugang dazu hätten. In Zeiten, in denen nationalistische Parolen wieder lauter erklingen, scheint das Projekt #FreeInterrail notwendiger denn je. Für Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer war die gegenwärtige politische Situation der Anlass, 2014 selbst auf Interrail zu fahren und sich durch Interviews mit beinahe 200 Jugendlichen ein Bild ihrer politischen Ansichtsweise zu machen. Sechs Wochen lang reisten sie durch 14 Länder und stießen auf Politikverdrossenheit und den Unglauben, selbst etwas bewirken zu können. Im März 2014, schon fast am Ende ihrer Reise angelangt, kommen sie schlussendlich mit dem Publizisten Robert Menasse in Wien zusammen, wo die Idee des kostenlosen Interrail-Tickets Gestalt annimmt. Seither kämpfen sie für die Idee, sind oft in Brüssel zu Gast, wo sie Lobbyarbeit für #FreeInterrail betreiben. „Als Außenstehender glaubt man gar nicht, wie tiefgreifend transformierend eine solche Reise sein kann. Diese Erfahrung sollte unserer Meinung nach allen Jugendlichen offenstehen und nicht nur den Privilegierten“, meint Martin Speer.

Als Aktivistenduo HERR&SPEER setzen sich Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer für Generationengerechtigkeit, Gleichstellung des Geschlechts und die Idee der europäischen Wertegemeinschaft ein. Beide leben in Berlin. Foto: www.herrundspeer.eu

Schon bald sprechen sich führende Politiker der EU dafür aus, doch im März 2017 wird das Projekt von der EU-Kommission vorerst abgelehnt. Die Kosten für jährlich 5,5 Millionen Tickets seien zu hoch, die Bevorzugung eines Transportmittels nicht zulässig. Für Herr und Speer ein schwaches Argument. „Es ist normal, dass ein solches Projekt eine längere Startphase braucht. Die Kosten von 2,3 Milliarden Euro stellen hier jedoch den Maximalwert dar. Die Vorstellung, dass jeder 18-Jährige das Interrail-Ticket nutzt und es von den Ländergesellschaften keinerlei Rabatte geben würde, ist illusorisch. Rechnerisch landen wir bei der Hälfte.“

Noch ist das Thema noch nicht vom Tisch, das Aktivisten-Duo setzt sich für ein Budget im Jahr 2018 ein. Sie sind optimistisch, doch zugleich auch enttäuscht: „Eine Idee, so einfach und unkompliziert wie diese, abzulehnen und somit Patriotismus und Nationalismus ein weiteres Jahr Vorsprung zu geben, zeigt, dass der tiefere Sinn hinter #FreeInterrail nicht verstanden wurde. Wir werden weiter kämpfen. Die Bevölkerung ist dafür, das geht aus Umfragen hervor, bis zu den Wahlen 2019 machen wir Druck“, so Speer. Einige Verbündete im europäischen Parlament haben sie bereits. Es gilt, die EU-Kommission von der Idee zu überzeugen.

Foto: Eurail Group G.I.E.

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