Mauerfall
Der Mauerfall vor 30 Jahren beeinflusst noch immer das Leben der Deutschen.
Interview

Wie die deutsche Teilung noch immer das Leben der Jugendlichen beeinflusst

Gerade hat Berlin 30 Jahre Mauerfall gefeiert. Wer heute jugendlich ist, hat von der deutschen Teilung natürlich nichts mitbekommen. Dennoch beeinflusst diese Zeit auch ihr Leben. Inwiefern, das hat Martin Kriemann im Rahmen seiner Promotion untersucht.

Herr Kriemann, für Ihr Ihrem Dissertationsprojekt „Lebenswirklichkeiten nach dem Mauerfall“ haben Sie Jugendliche aus ganz Deutschland zur deutschen Teilungsgeschichte befragt. Alle wurden zwischen 1989 und 2004 geboren. Was haben Ihnen die Studienteilnehmer geantwortet?
In den Gruppendiskussionen fragte ich die Jugendlichen zu Beginn, wie sie bemerken, dass Deutschland einmal ein geteiltes Land gewesen ist. Sie bezogen sich auf Erfahrungen, die sie in der Familie, der Schule, mit Freunden, an Orten der Erinnerung oder im Umgang mit verschiedenen Medien gemachten haben. Interessant an diesen Erlebnisberichten ist für mich vor allem das sogenannte konjunktive Erfahrungswissen. Dieses Wissen wird zum Teil unbewusst und nebenbei erlangt und bestimmt mit, wie ein Mensch denkt und handelt. Das Spannende daran ist, dass die Jugendlichen mitunter gar nicht ahnen, was sie da alles über die Vergangenheit wissen. Dieses implizite Wissen ist in den Erzählungen verborgen und zeigt sich vor allem in der Art und Weise, wie über die deutsche Teilung, die DDR und die Deutsche Einheit gesprochen wird. Es findet sich in den Gruppendiskussionen sozusagen zwischen den Zeilen. Meine Aufgabe besteht darin, dieses implizite Wissen der Jugendlichen sichtbar zu machen. Die Themen, die die Jugendlichen dabei aufriefen und die Art und Weise wie sie über diese Themen redeten, waren aber sehr unterschiedlich.

Inwiefern?
Die deutsche Einheit ist fest im kollektiven Gedächtnis dieser Generation verankert und wird von den Jugendlichen heute als ein wichtiges familienbiografisches und historisches Ereignis gesehen. Wirklich relevant ist die Beschäftigung mit dem Thema zur Bewältigung des Lebensalltags jedoch eher nicht. Themen wie der Klimawandel oder die Flüchtlingskrise sind da wesentlich wichtiger. Dennoch hat die deutsche Teilung und Einheit Spuren bei der Jugend hinterlassen. Die Mauer stellt für die Jugendlichen heute etwas dar, das Menschen voneinander trennt. Der Mauerfall steht symbolisch für die Überwindung der Teilung und die Öffnung einer Gesellschaft. Die deutsche Einheit wird durchweg positiv bewertet. Die Auswirkungen der Teilung sowie der Wiedervereinigung auf das eigene Leben und die Familien werden aber unterschiedlich wahrgenommen.

Beruhen diese Unterschiede auf der Herkunft der Jugendlichen?
Nein, es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Herkunft aus Ost oder West für diese Unterschiede verantwortlich ist. Viel relevanter ist offensichtlich das Alter, der Bildungsstand der Jugendlichen und der Erziehungsstil in den Familien. Dies kann damit erklärt werden, dass mit zunehmendem Alter auch das Wissen über die Deutsche Teilungsgeschichte zunimmt. Mit den Informationen aus unterschiedlichen Quellen steigt zugleich die Spannung zwischen dem Wissen, das gesamtgesellschaftlich geteilt und anerkannt wird und dem Wissen, das beispielsweise in den Familien gültig ist. Jugendliche stehen dann vor der Herausforderung diese Perspektiven miteinander zu vereinbaren und sich selbst ins Verhältnis dazu zu setzen. Eine Jugendliche berichtet etwa, dass sie die DDR früher mit einer abenteuerlichen und coolen Alltagskultur verbunden hat, in der Schallplatten aus dem Kofferraum gehandelt wurden. Sie kannte dieses Bild der DDR aus Filmen und der eigenen Familie. Als sie das Thema später in der Schule bearbeitet hat, wurde ihre Sicht auf die DDR verändert. Das Wissen aus der Schule hatte nicht zu ihrem bisherigen Bild der DDR gepasst. Im fortschreitenden Prozess der Beschäftigung mit Geschichte hat sie sich auch vom überlieferten Wissen der Familie gelöst und sich mit eigenen Vorannahmen auseinandergesetzt.

Es heißt oft, junge Menschen seien nicht an Geschichte und Politik interessiert. Können Sie das bestätigen?
Jugendliche verbinden in den Gruppendiskussionen auf ganz selbstverständliche Weise die eigene und die Familiengeschichte mit der Geschichte Deutschlands. Beispielsweise berichten sie darüber, wie ihre Eltern den Mauerfall erlebt haben. Einige Teilnehmende fragen sich zudem, wie es gewesen sein muss, als Jugendlicher in der DDR gelebt zu haben. Gemeinsam ist diesen Beispielen, dass von keinem Teilnehmenden in Frage gestellt wird, dass die Beschäftigung mit der deutschen Zeitgeschichte notwendig ist. Die Jugendlichen setzen sich auch deshalb mit diesem Teil der deutschen Geschichte auseinander, um zu verstehen wer sie sind, woher sie und ihre Familien kommen und um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Die Auseinandersetzung mit Geschichte ist also eigentlich ein grundlegendes Bedürfnis der Jugendlichen und gehört zur Entwicklung in einer Gesellschaft dazu.

Das Interview führte Tamina Grasme, 24 Jahre.

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Wenn ich, 22, eine Top 5-Liste mit Sätzen, die ich in den vergangenen drei Jahren am häufigsten gehört habe, aufstellen würde, wäre „Was wird man denn so nach einem Geschichtsstudium?“ ganz weit oben vertreten. Zum Glück habe ich mittlerweile eine Antwort darauf gefunden: Journalistin. Darauf gekommen bin ich durch das Lesen von Harald Martensteins Artikeln, der selber Geschichte studiert hat. Von ihm habe ich auch meinen neuen Zukunftsplan: einfach immer schreiben. Genau das mache ich jetzt hier bei Spreewild, nachdem mir mein Praktikum in der Jugendredaktion so gut gefallen hat.