Leonie alias le.ocean
Provokant, verrucht, sexy – so zeigt sich Leonie auf ihrem Instagram-Kanal. Im wahren Leben ist die zierliche 18-Jährige ganz anders.

Süchtig nach Instagram: Wie aus Leonie le.once wurde

Instagram war Leonies Droge. Es folgte der Absturz. Ihre Follower waren live dabei. Wir haben das zierliche Mädchen getroffen.

Leonie trägt eine schwarze Jacke, einen schwarzen Pullover, schwarze Jeans und schwarze Schuhe – bloß nicht auffallen. Le.ocean trägt meist bauchfreie Tops, kurze Röcke oder Hotpants – auffallen um jeden Preis.

Instagram war Leonies Droge. Wie bei jeder guten Droge folgte der Absturz. Le.oceans Follower waren live dabei. „Es ging so weit, dass mich kaum jemand noch als Leonie kannte. Für alle war ich nur noch diese le.ocean“, erzählt das zerbrechliche Mädchen und guckt, als wolle es am liebsten für einen Moment unsichtbar sein.

Nur wenige wissen, wer sie ist

Leonie ist 18. Bei 1,64 Meter Körpergröße wiegt sie höchstens 50 Kilo. Sie schließt ihre zarten Finger um einen Becher Kaffee. Ganz so, als wäre die gleichmäßige Wärme für sie ein Ort der Zuflucht. Die Fingernägel rot lackiert. Ihre Beine herangezogen mit den Füßen auf dem Sessel, wirkt sie fast hilflos im „Café Zeitraum“ in Schöneberg. Hier ist sie Leonie, weit weg von der Welt der sozialen Netze.
Leonie spricht leise, agiert höflich und zurückhaltend. Vergangenes Jahr machte sie Abitur. Notendurchschnitt: 3,2. Ein ganz normales Mädchen, das seinen Platz noch nicht gefunden zu haben scheint. Doch kaum jemand lernt Leonie so kennen. Nur wenige wissen, wer sie ist.

7.000 Follower auf Instagram indes kennen le.ocean. 90 Fotos eines Mädchens, das nichts mit der schüchternen Gestalt im „Café Zeitraum“ gemeinsam hat. Auf ihrem Profil spielt le.ocean die Hauptrolle – provokant, verrucht, sexy. Der Spruch „Ich war verliebt darin, verliebt zu sein“ garniert eines ihrer Fotos, das Knutschflecke am Hals zeigt. Unter einem Selfie im knappen Tennisrock: „Es ist noch nicht zu spät. Komm, lass Dich darauf ein.“

In ihrem Feed inszeniert sich le.ocean in kurzen Röcken auf Motorrollern, rauchend am Fenster, bauchfrei. Eine ihrer erfolgreichsten Kompositionen zeigt eine Pistole lässig in ihrer Hand liegen. „DEATH IS NOT AN EVENT“, steht darunter. Einer ihrer Follower kommentiert: „Safe Plastic lol.“ Le.oceans Antwort: „Halt‘s Maul.“ Leonie würde so nicht reagieren, doch le.ocean tut es, immer und immer wieder.

Grenzen? „Gibt es nicht. Ich will ja, dass die Leute reden.“

le.ocean

Seit 2014 teilt Leonie eine Inszenierung ihres Lebens regelmäßig mit der Außenwelt. Doch irgendwann wurde auch das zu wenig. So wurde Tellonym das neue Zentrum ihrer Welt. Eine Plattform für Menschen, die es interessiert, was andere wirklich über sie denken. Tellonym erlaubt es jedem ihrer Follower, ihr anonym Fragen zu stellen. Leonie beantwortet sie alle – in ihrer Instagram-Story. Zwölf Sekunden Google-Recherche reichen aus, um einen Blick in le.oceans Sicht auf die Welt zu bekommen. 2022 gestellte und beantwortete Fragen – für jeden ersichtlich.

Le.oceans Antworten polarisieren, denn sie schreibt das, was sie denkt. Die letzte gestellte Frage ist ein Jahr alt: „Bist du eine Hoe? (Rhetorisch).“ – „hoe“ ist ein englischer Ausdruck für „Hure“. Eine Frage, die le.oceans Tellonym-Geschichte treffend zusammenfasst. Leonie wirkt peinlich berührt: „Ich wusste gar nicht, dass das noch zu finden ist.“ Le.ocean hat eine Meinung zu allem und wird so zur Klatschpresse ihrer Umgebung. Die absolute Anonymität des Fragestellers macht Mut, Grenzen auszutesten. Fragen von „Sex? Morgen?“ bis „Glaubst du an Gott?“ – Le.ocean beantwortet sie. Grenzen? „Gibt es nicht. Ich will ja, dass die Leute reden“, sagt sie. „Will das nicht jeder?“

Leonie guckte le.oceans Werdegang schweigend zu, bis es ihr zu viel wurde

Leonie wurde zum Star, auch über ihren Freundeskreis hinaus. Sie wurde kritisiert, zerrissen, gelobt, bejubelt, gehasst. Leonie guckte le.oceans Werdegang nur schweigend zu, bis es ihr irgendwann zu viel wurde.

„Ich hatte mehr Follower als je zuvor und fühlte mich trotzdem alleingelassen.“

le.ocean

Im „Café Zeitraum“ rutscht Leonie jetzt tiefer in ihren Vintage-Sessel und steckt ihre Nase tief in ihren Becher. „Ich habe probiert, Alkoholikerin zu werden“, nuschelt le.ocean. Und Leonie lacht peinlich berührt. „Aber das hat nicht funktioniert“, fügt sie schnell hinzu.

Instagram und Tellonym – eine Welt, die ihr so viel bedeutet hat, hat Leonie erdrückt. Sie stürzte ab und wurde depressiv. Es folgten Gespräche mit Eltern, Lehrern, Psychiatern. Und vor allem redete das erste Mal le.ocean mit Leonie. Doch wirklich verstanden haben sie sich bis heute nicht. Ihr Tellonym-Profil ruht, mit ihren alten Freunden hat sie abgeschlossen.

Doch etwas bleibt: Instagram ist Leonies Droge, und so lebt auch le.ocean weiter. „Manchmal wünschte ich, ich würde in einer Zeit ohne Internet leben.“ Warum sie ihr Profil nicht einfach löscht? „Es ist diese Angst, etwas zu verpassen.“

Leonie kann le.ocean nicht einfach löschen, denn sie ist ein Teil von ihr. Ein Teil, der manchmal auf 7089 Handy-Displays ans Licht kommt und still nach Aufmerksamkeit schreit.

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