Young Euro Classic ist ein Schulprojekt in Kooperation mit dem Internationalen Literaturfestival Berlin.

Young Euro Classic: Berliner Schüler*innen schreiben bewegende Texte über Europa

Die Brücke

von Hana Hasimbegovich

Immer wenn es draußen warm wird, viel zu heiß, um in einer Großstadt wie Berlin zu schwit-zen, dann weiß ich: Jetzt ist die Zeit gekommen für die jährliche Reise auf die andere Seite der Brücke.
Ich fange an, meine Sachen zu packen. In Gedanken bin ich dabei in meiner Kindheit. Wie unbeschwert doch damals alles vonstattenging. Um ehrlich zu sein, habe ich die Reise kaum wahrgenommen: Es war mir gleichgültig, auf welcher Seite der Brücke ich mich befand, denn ich war ein Kind und erkannte darin keinen Unterschied.

Als ich älter wurde, änderte sich das.
Plötzlich fand ich mich in einer Welt wieder, wo nichts mehr bedeutungslos war.
Plötzlich spielte es für die Menschen eine Rolle, von wo ich komme.

Ja, von wo komme ich denn?
Was soll ich denn darauf antworten?
Meinen Geburtsort angeben? Meine Wurzeln beschreiben? Oder doch einfach nur das Land nennen, dem ich mich am meisten zugehörig fühle?
Und was ist, wenn es sich dabei um mehr als nur ein Land handelt?

Oft habe ich schon nach einer passenden Antwort auf all diese Fragen gesucht.
Spannend wurde es, als meine Klassenkameraden in der Mittelstufe diskutierten, ob Kinder mit „Migrationshintergrund“ sich „deutsch“ nennen durften?

Die knappe Aussage eines Mitschülers dazu: „Wer die deutsche Staatsbürgerschaft hat, ist deutsch. Nichts anderes.“

Ich versuchte, mich mit dieser Antwort zufrieden zu geben, schaffte es aber nicht.
Wie konnte ich denn Deutsche sein, wenn sich doch so vieles in meinem Leben von den Stereotypen hier unterschied?

Bei meinen deutschen Freunden aß man Abendbrot, wir jeden Abend jedoch Gekochtes. Andere Deutsche feierten Hochzeiten meist nur im engsten Familienkreis, bei der Hochzeit meiner Cousine waren 800 Leute eingeladen.
In Deutschland ist man zu Fremden eher kühl; in Serbien aber werden selbst Leute, die man nur vom Vorübergehen auf der Straße her kennt, herzlich gegrüßt.

Der Begriff „Staatsbürgerschaft: Deutsch“ half mir nicht, meine Heimat zu definieren.

In meinen Sommerurlauben in Serbien wurde ich auch nicht schlauer. Von meinen Cousinen und Cousins wurde ich beim Spielen auf dem Hof hinter unserem Haus, in dem wunder-schönen Garten voller Veilchen, ständig aufgezogen: Ich sei ja total deutsch! Schon wie ich meine Stifte, immer nach Farben sortiert, in meinem Federmäppchen hätte – Deutsch!

Und dass ich in meinem Malbuch lieber die Mandalas ordentlich ausmalte, statt mit ihnen Fangen im Sand zu spielen, und dass ich mir Sorgen darüber machte, meine Kleider dreckig zu machen – typisch Deutsch!!!!

Später boten dann meine Pünktlich- und Pingeligkeit neue Angriffsflächen.

Irgendwann war ich es leid, in Deutschland immer die Ausländerin und in Serbien immer die Deutsche zu sein. Deshalb habe ich mir im Kopf eine Brücke gebaut, eine Brücke, auf der ich zwischen Deutschland und Serbien pendeln kann.

Diese Brücke vereint deutsche Stärke mit serbischer Wärme.

Sie sorgt dafür, dass ich mich nicht mehr zwischen „deutsch!“ und „serbisch!“
entscheiden muss.

Ich kann beides – und, wenn ich will, auch noch viel mehr!
Das Rufen meiner Mutter reißt mich aus den Gedanken.

Jetzt geht es los nach Serbien, doch ich weiß, dass ich immer nach Deutschland
zurückkehren werde.

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