Bloß nicht wegnicken: Sechs Stunden Castorf-Inszenierung – was soll das?

Wie ist es, sich eine sechseinhalbstündige Castorf-Inszenierung anzusehen? Unsere Autorin wagt den Selbstversuch

Während andere Studenten an einem Freitagabend in langen Schlangen vor Clubs anstehen, sitze ich mit einem Kommilitonen in der Volksbühne. Voller Neugier erwarten wir ein sechseinhalbstündiges Theaterstück, natürlich von Castorf. „Die Brüder Karamasow“ lässt Großes erwarten, schließlich umfasst die literarische Vorlage von Dostojewskij 1 148 Seiten. Doch schon beim Setzen auf die Kissenlandschaft in der Saalmitte frage ich mich, ob ich diesen Abend überleben werde. Die ersten beiden Stunden schweben dahin. Die Handlung nimmt Fahrt auf. Meine Beine schlafen ein. Minütlich zapple ich hin und her. Vielleicht tauchen unsere Nachbarn deshalb nach der Pause nicht mehr auf. Drei Stunden musste man bis dahin durchhalten, was einigen Zuschauern sichtlich schwerfiel.

Ich bin begeistert von der Kameratechnik, vom Bühnenbild samt Wasserbecken, das einem das Gefühl gibt, mittendrin zu sein. Während ich mich konzentriere, um nicht den Anschluss zu verlieren, rauscht die Musik angenehm durch Ohren und Brust, wenn der Bass zu summen beginnt. Nach der vierten Stunde geht es bergab. Die zerschlagene Melone, die im Zuschauerraum gelandet ist, beginnt ihren Geruch zu verbreiten. An das ständige Schreien der Schauspieler haben sich meine Ohren längst gewöhnt, und das Reinfallen ins Wasserbecken überrascht mich nicht mehr. Kurz mit den Gedanken bei etwas anderem, frage ich mich prompt, wer auf einmal die Blonde im Rollstuhl ist. Verwirrend.

Die fünfte Stunde beginnt. Mein gesamter Körper schmerzt. Vor mir schläft ein älterer Herr. Soll das so sein oder ist das Kunst?, frage ich mich und versuche, meine Augen offen zu halten. Ich möchte nicht wie ein Kulturbanause klingen. Ich liebe das Theater und seine Vielfältigkeit. Aber was will man mit einer solchen Inszenierung erreichen, in der man sich stundenlang quält, statt sich inspirieren zu lassen?

Hier wollt auch die Herausforderung annehmen? „Die Brüder Karamasow“ werden wieder am 13. und 14. Januar aufgeführt.

Foto: Thomas Aurin

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Kategorien Kultur Theater

90er-Kid, Bücherwurm, Weltenbummler. Ich liebe Musik und das geschriebene Wort. Letzteres kann man von mir seit 2012 hier lesen. Meine große Leidenschaft gilt dem Theater, das mich mehr als alles andere fasziniert. Wenn ich durch die Straßen Berlins laufe, kommt mir das Leben vor wie eine Aneinanderreihung vieler kleiner Inszenierungen, deren Geschichten alle festgehalten werden wollen. So inspiriert mich unsere Hauptstadt stetig zu neuen Themen für unsere Seite.