„Heroes“: Junge Männer mit Migrationshintergrund kämpfen gegen Unterdrückung im Namen der Ehre

Sie gehen an Schulen und in Jugendeinrichtungen um junge Männer aus Ehrenkulturen dazu zu bewegen, tradierte Rollenmuster und Machtstrukturen zu hinterfragen. Zu Besuch beim Berliner Jugendprojekt „Heroes“

Die Szene beginnt vielversprechend: Gökhan erzählt seinem Vater von der Beförderung im Job und dem neuen Auto. Als er auf seine Freundin zu sprechen kommt, schlägt die Begeisterung jedoch in Zorn um. „Anna? Seit wann bringen wir Annas aus Schweden mit nach Hause?“ Und plötzlich muss sich Gökhan zwischen Familie und Beziehung entscheiden.

In diesem Fall ist das Szenario glücklicherweise fiktiv. Es handelt sich um ein Rollenspiel der „Heroes“, das sie für ihre Workshops geschrieben haben. Das Projekt zur Gewaltprävention wurde 2007 mit dem Ziel gegründet, mit jungen Männern aus „Ehrenkulturen“ in Kontakt zu kommen, für die solche Auseinandersetzungen Realität sind. Dabei gehen die Heroes ehrenamtlich in Schulen oder Jugendeinrichtungen und diskutieren Themen wie Gleichberechtigung und Unterdrückung im Namen der Ehre.

Wir müssen auch über die Probleme jungen Männer reden

Hamudii ist über seinen Bruder zu den Heroes gekommen und kannte einige der Problematiken aus seiner eigenen Familie. Es sei nicht immer einfach gewesen, bestimmte Themen anzusprechen und zu seiner eigenen Meinung zu stehen. „Inzwischen bin ich der, der immer was sagt“, erzählt der 21-Jährige. Über Ehrenmorde und Zwangsehe hört man viel, sagt er, meist seien Frauen Opfer von Unterdrückung. Allerdings würden auch Männer in eine Rolle gezwungen, die sie sich nicht ausgesucht haben. „Also darf mich jeder angucken? Bist du kein Mann?“, heißt es in einer weiteren Szene des Rollenspiels, in der ein Mädchen im Vorbeigehen von einem Fremden begafft wird und ihr Freund nichts dagegen unternimmt. Den Fremden anpöbeln, ihm Gewalt antun – der ultimative Beweis für Männlichkeit? Die Darstellung solcher Dilemmas in Form eines Schauspiels soll mit Rollenklischees aufräumen.

Knapp zehn Jugendliche treffen sich einmal pro Woche und reden in den Trainings über Sexualität, patriarchale Strukturen, Selbstbestimmung und eine Vielzahl anderer Themen. Wer Heroe werden will, muss ein einjähriges Programm absolvieren. Auch Fähigkeiten wie Schauspielern werden benötigt, um zertifiziert zu werden und einen Workshop leiten zu dürfen.

Denkanstoß Richtung Gleichberechtigung und Selbstbestimmung

Die Heroes sind oft nur ein paar Jahre älter als die Schüler und teilen den gleichen kulturellen Hintergrund, wodurch sie einen persönlicheren Zugang zu ihnen haben als ihre Lehrer. „Das ist kein Input-Workshop“, erklärt Can, ein ehemaliger Heroe, der inzwischen als Gruppenleiter arbeitet. Stattdessen geht es darum, Normen und Werte zu hinterfragen und die jungen Männer zu einer eigenen Schlussfolgerung zu ermutigen. „Wir lassen jede Meinung zu“, so Can. Nach anfänglicher Skepsis stelle sich oft heraus, dass viel Redebedarf besteht und die Workshops genau dafür ein Ventil bieten. Gerade mit den Alltagssituationen in den Rollenspielen würden sich viele der Schüler identifizieren können.

Gerade diskutieren bereits zertifizierte Heroes über die Anfänge der Frauenbewegung, wobei vor allem die späten Wahlrechte Fassungslosigkeit hervorrufen. Wie es wohl sein muss, um 1900 geboren worden zu sein und all das durchlebt zu haben? Dieses Hineinversetzen in andere Rollen wird von den Heroes auch in ihren Workshops unterstützt. Damit haben sie in Berlin schon vielen jungen Männern einen Denkanstoß in Richtung Gleichberechtigung und Selbstbestimmung gegeben.

Das könnte Dich auch interessieren

Kategorien Gesellschaft Zwischendurch

Auf spreewild.de berichten wir über alles, was uns bewegt – über Schule, Politik und Freizeit, Liebesglück und -kummer oder den Schlamassel mit der eigenen Zukunft. Wir bieten Hintergrundgeschichten zu den Artikeln, die wir auf der Jugendseite veröffentlicht haben, stellen Fotos und Videos ins Netz. Dazu gibt es die Fotoserien der Jugendredaktion, Musik-, Buch- und Filmbesprechungen sowie all die Fragen, die uns die Prominenten jede Woche stellen.