Derzeit ist die Panik vor Terroranschlägen nahezu allgegenwärtig – die Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer zu werden, ist jedoch schwindend gering.
Die Europameisterschaft hat begonnen, und mit ihr häufen sich Debatten um die Sicherheitslage – bei den Spielen in Frankreich und auch hierzulande, beim Public Viewing, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und eigentlich auch sonst überall. Anlässlich des Fastenmonats Ramadan – der eigentlich für Besinnung und Nächstenliebe steht – hat der sogenannte Islamische Staat seine Kämpfer im Ausland zu Anschlägen aufgefordert. Dem Aufruf folgte in der vergangenen Nacht ein französischer Islamist, indem er im Alleingang einen Polizisten und dessen Frau tötete. Auch die EM ist ein willkommenes Ziel für DIY-Terroristen und die, die es werden wollen.
Die Terroranschläge von Paris und Brüssel hallen in unseren Köpfen noch immer nach und haben sich mit all den anderen jüngsten weltweiten Attentaten in ihrer Gesamtheit zu einem neuen 9/11 formiert. Mit einem entscheidenden Unterschied: Die mediale Visualität hat sich mittels Smartphone und Internet vervielfacht. Blutige Bilder und Videos aus dem Bataclan erreichen uns wenige Stunden nach der Tat via Facebook und Twitter und machen sie wesentlich greifbarer als die aus sicherer Entfernung gefilmten brennenden Türme des World Trade Centers. Nach den schrecklichen Ereignissen aus Orlando wurde sogar der letzte SMS-Kontakt eines Opfers mit seiner Mutter öffentlich. Ein fruchtbarer Nährboden für Paranoia.
Neulich berichtete ich jemandem von einer anstehenden innereuropäischen Flugreise – als Antwort kam ein sorgenvolles: „Das würde ich aber momentan nicht machen.“ Als hätte ich gerade erzählt, entspannten Strandurlaub in Somalia zu planen. Frei von diffuser Terrorangst bin ich natürlich auch nicht: Als ich kürzlich in der U-Bahn einem Typen gegenübersaß, der gleichzeitig mit verschiedenen Handys hantierte und dabei nervös aussah, habe ich kurz überlegt, auszusteigen. Ich selbst transportiere hin und wieder sperrige Koffer mit Musikinstrumenten durch die Stadt und ernte dabei in der U-Bahn ebenfalls skeptische Blicke, die sicher auch meinem – wie man mir oft attestiert – „nicht ganz deutschen“ Aussehen geschuldet sind.
Ungünstig nur, dass man gerade in Berlin die öffentlichen Verkehrsmittel kaum meiden kann. Und selbst wenn – auf belebten Plätzen, im Restaurant und auf dem Konzert kann genauso plötzlich ein wildgewordener Jüngling mit Allmachtsfantasien und Sturmgewehr aufkreuzen. Wie also mit dieser Gefahr umgehen? Mir hilft es, Statistiken zu wälzen. Wesentlich gefährlicher als Terror sind beispielsweise Kühe, Radfahren, Schmerztabletten, Wespen und unvermittelt umstürzende Bäume. Ein Bekannter erzählte mir außerdem unlängst, dass es statistisch gesehen wahrscheinlicher wäre, an einem versehentlich verschluckten Bleistift zu sterben, als einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen. Dass die eigentliche Bedrohung im Stifteknabbern liegt, ist seitdem mein beruhigendes Mantra.
von Rabea Erradi
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