Flaschenkontrolle

 

 

 

 

 

 

 

Beim Baumblütenfest in Werder trinken Jugendliche maßlos, heißt es. Unsere Autorin überprüft vor Ort

 

Von Aniko Schusterius, 16 Jahre

 

Ich halte mich für einen Menschen, der für alles offen ist und sich erst dann eine Meinung über etwas bildet, wenn er es ausprobiert hat. So kam es, dass ich mich von Freunden überreden ließ, vergangenes Wochenende mit ihnen nach Werder zum Baumblütenfest zu fahren. Beim Baumblütenfest kann man jedes Jahr durch die Obstgärten spazieren, sich an den blühenden Bäumen erfreuen und Obstweine verkosten. In den letzten Jahren hat der Ruf des Festes jedoch gelitten: Es heißt, dass viele Jugendliche es zum Anlass nehmen, sich „erlaubterweise“ zu betrinken – schließlich dürfen Wein und auch Bier schon an 16-Jährige ausgeschenkt werden. Ich wollte wissen, ob das stimmt oder ob die Berichte übertrieben sind. Das Protokoll meines Ausflugs:

10.40 Uhr – Auf Anraten einiger erfahrener Besucher decken wir uns schon im Supermarkt mit Alkohol ein. Ich weiß nicht, was die ältere Dame hinter uns denkt, die Kassiererin wünscht uns viel Spaß. 
11.45 Uhr – Wir haben den falschen Zug erwischt. Das geht gut los. 
12.20 Uhr – Endlich sind wir in der richtigen Bahn. Erstmal durchatmen, soweit das in dem völlig überfüllten Waggon überhaupt möglich ist. 
12.25 Uhr – Meine Begleiter glühen vor. In der Bahn zu trinken, ist mir dann aber doch zu doof. Ich beobachte lieber, wie der Typ zwei Reihen weiter den letzten freien Sitzplatz neben sich an die Umstehenden zu versteigern versucht.

13.00 Uhr – Willkommen in Werder, der Stadt der Plastikflaschen. Die Kontrolle auf Glasflaschen wird nur bei jedem Fünften durchgeführt. Ich habe Glück. Auf zum Festplatz. 
13.35 Uhr – Wir laufen immer noch. Es zeigt sich, dass die Glasflaschenkontrolle wohl eigentlich überflüssig ist. Ich zumindest trenne mich nun freiwillig von meinen Flaschen. Ohne sie läuft es sich viel leichter.

13.50 Uhr – Endlich Stände, endlich Schatten! Vollkommen fertig erreichen wir die Hauptbühne.

13.51 Uhr – Man sieht tatsächlich sehr viele Jugendliche. Wir treffen sogar eine Gruppe bekannter Gesichter.

14.00 Uhr – Kai verlangt mehr Wein, obwohl er kaum stehen kann. Ein Typ mit Hut erbricht in einer Ecke.

14.30 Uhr – Die Polizei bittet zur Alkoholkontrolle. Betrunkenen werden Warnwesten verpasst.

14.50 Uhr – Wir stehen rum. Marie findet eine Flasche auf der Erde und fragt sich, ob noch etwas darin ist.

15.10 Uhr – Wir haben keine Lust mehr. Uns reicht es, wir machen uns auf den Rückweg zum Bahnhof.

16.54 Uhr – Wir ergattern Sitzplätze im Zug. Hungrig und durstig fahren wir nach Hause. Eine völlig betrunkene Frau fragt am Telefon ihren Freund, wo sie eigentlich wohnt. Als sie eine Antwort hat, brüllt sie durch das Abteil: „Wohin fährt der Zug?“ Und bekommt von irgendwo die Antwort: „In die Walachei.“ An der nächsten Station steigt sie aus und torkelt davon. Ich beschließe: Nie wieder Werder.

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Kategorien Weggehen Zwischendurch

90er-Kid, Bücherwurm, Weltenbummler. Ich liebe Musik und das geschriebene Wort. Letzteres kann man von mir seit 2012 hier lesen. Meine große Leidenschaft gilt dem Theater, das mich mehr als alles andere fasziniert. Wenn ich durch die Straßen Berlins laufe, kommt mir das Leben vor wie eine Aneinanderreihung vieler kleiner Inszenierungen, deren Geschichten alle festgehalten werden wollen. So inspiriert mich unsere Hauptstadt stetig zu neuen Themen für unsere Seite.