Weihnachten 2012 – 4. Türchen

Was wäre, wenn das ganze Jahr Weihnachten wäre?
Ein Besuch in der Berliner Käthe Wohlfahrt Filiale

 

Wir treffen uns früh morgens vor dem Eingang des Käthe Wohlfahrt Weihnachtsladens, wo Andreas Kuhlmey, der Filialleiter, gerade den roten Teppich ausrollt. Größer könnte der Kontrast nicht sein zwischen dem verregneten Novembermorgen draußen und der überbordenden glitzernden Weihnachtswelt drinnen, auf die ich aus dem Eingangsbereich einen ersten Blick erhasche.

 

Kaum sind wir im Geschäft, lässt Andreas Kuhlmey das Rouleau wieder herunter. Noch ist der Laden für Kunden geschlossen, nur ein paar Handwerker sind im Obergeschoss, hinter der Weihnachtskulisse, mit Reparaturen beschäftigt. Der Filialleiter nimmt sich Zeit an diesem Morgen, zeigt mir die verschiedenen Themenreihen und beantwortet geduldig meine Fragen. Dabei wirkt er in seiner Alltagskleidung etwas fehl am Platz in dieser bunten und filigranen Welt, in der sich jeder wie ein Elefant im Porzellanladen fühlen muss. Als ich ihn frage, ob er überhaupt noch Weihnachtsschmuck sehen kann, lacht er: „Unsere Produkte sind ja schön. Wir handeln mit Schönheit. Natürlich hab’ ich auch einen Baum zu Hause, einen ganz traditionellen.“ Außerdem erklärt er mir, dass auch bei Käthe Wohlfahrt nicht das ganze Jahr Weihnachten ist – zumindest nicht im Untergeschoss. Im Untergeschoss findet man außerhalb der Weihnachtssaison, die von September bis Januar geht, keine Weihnachtsartikel, sondern Kunsthandwerksprodukte aus verschiedenen Regionen Deutschlands. Dann läuft auch keine Weihnachtsmusik und es kommen hauptsächlich ausländische Touristen in den Laden, vor allem Amerikaner und Russen, die nach typisch deutschen Souvenirs suchen: Schwarzwälder Kuckucksuhren oder Berliner Bären, aber auch bestimmte Weihnachtsartikel, die sich das ganze Jahr verkaufen.

 

Ich war ursprünglich davon ausgegangen, dass die größte Schwierigkeit eines ganzjährig betriebenen Weihnachtsladens wäre, auch außerhalb der Saison Abnehmer für die Waren zu finden. Aber ich habe die Kaufwut der Touristen unterschätzt, die anscheinend ganz verrückt sind, nach Souvenirs, die ein romantisches Bild deutscher Handwerkskunst vermitteln.

 

Bei meinem Besuch bei Käthe Wohlfahrt frage ich mich nun, ob nicht die wahre Herausforderung des Unternehmens ist, sich zwischen Tradition und Moderne zu positionieren. Die Philosophie des Familienbetriebs besteht darin, Weihnachtsdekorationen, die ihren traditionellen Ursprung in Deutschland haben, zu verkaufen. Man ist stolz auf die hohe Qualität der Ware, auf die Handarbeit. „Die Babys bringt hier noch der Storch.“, sagt Kuhlmey und deutet auf eine Storchenfigur mit Kind im Arm. Kurz zuvor durfte ich die Baumanhänger für die jüngere Zielgruppe bestaunen: Frösche – mit Fliege oder Tutu –, DJ-Affen, Saxophon-Krokodile, rosa Handtaschen und Prinzessinnenschuhe, Bienemajas mit Taucherbrillen, rosa Flugzeuge, rosa Schwäne auf pinken Vespas, Korsagen und Stilettos. Jetzt stelle ich mir einen Baum vor, an dem ein Storch mit Baby neben einer Korsage und Stilettos hängt – meinem Familien- oder Frauenbild entspricht das nicht unbedingt.

 

Aber vielleicht verstehe ich den Zauber von Käthe Wohlfahrt einfach nicht. Schließlich gehöre ich auch nicht zur eigentlichen Zielgruppe des Unternehmens: Kleinfamilien, in denen die Eltern Mitte 30 und eher wohlhabend sind und die in der Tradition eine heile Welt suchen, die es so wohl nie gegeben hat.

 

Als Andreas Kuhlmey und ich den Rundgang schon beendet haben und uns zielstrebig auf den Ausgang zu bewegen, fällt ihm noch etwas ein: die Hermann Bären. In einer Vitrine sitzen eine Handvoll Bären in unterschiedlichen Brauntönen. „Die wenigsten wissen, dass im Innern der Bären ein Herz steckt und die Bären zusammen mit einem Röntgenbild ihres Herzens verkauft werden.“, verrät mir Kuhlmey. Und das, ja, das muss ich zugeben, das finde ich ziemlich cool.


Cordula Kehr (21 Jahre)

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