Pünktlich zum Schulanfang fordert eine Bildungsforscherin, sie abzuschaffen. Aber ob das wirklich so gut ist, wie es klingt
Von Bill Schneider, 18 Jahre
Riecht ihr ihn schon, den Duft von Linoleumfußböden und Tischplatten aus gepressten Holzspänen? Seht ihr schon die Cafeteria-Mahlzeiten vor euch, die schmecken, als würden sie aus ähnlichem Material gemacht? Hört ihr schon die schrille Stimme eurer kreideessenden Mathelehrerin?
Das Ende der Sommerferien naht. Während Schweißausbrüche und zitternde Glieder beim Gedanken an die Unterrichtszeit zwischen acht Uhr morgens und irgendwann nachmittags weiterhin ihre Berechtigung haben, brauchen sich Schüler vor dem Grauen danach womöglich bald nicht mehr zu fürchten – zumindest nicht, wenn es nach der Bildungsexpertin Jutta Allmendinger geht: Die Wissenschaftlerin fordert, die Hausaufgaben abzuschaffen.
Allemdinger ist der Auffassung, es sei besser, den Lernstoff im Unterricht selbst in kleinen Gruppen zusammen mit dem Lehrer noch einmal nachzuarbeiten. Dass diese Forderung in der nächsten Zeit umgesetzt wird, gilt indes als unwahrscheinlich – zum Glück. Denn was erstmal irgendwie toll klingt, erweist sich bei genauerer Betrachtung als problematisch: Was würde aus dem schönen Ritual, morgens im Bus die Hausaufgaben beim Klassenbesten abzuschreiben? Woher nähme man den Nervenkitzel, zu Beginn der Unterrichtsstunde eine bei Wikipedia ausgedruckte „Materialsammlung“ mit geschwärzter URL-Zeile abzugeben? Und überhaupt: Ist es wirklich so erstrebenswert, die Erlösung von den Hausaufgaben mit einer Verlängerung der Zeit zu bezahlen, die man in der Schule auf harten Holzstühlen verbringen muss? Wie viel komfortabler ist es da, wie bisher zwischen 16 und 21 Uhr auf dem Sofa zu liegen und gleichzeitig eine Sitcom zu sehen, Facebook zu überwachen, mit Kopfhörern in den Ohren Musik zu hören, in der linken Hand ein Pizzastück zu halten, und ja, eben auch in der Rechten einen Kugelschreiber, mit dem wir ein Koordinatensystem zeichnen oder eine Gedichtinterpretation schreiben. Wäre es nicht schade, wenn Schüler diese wichtige Kompetenz des Multitaskings plötzlich nicht weiter trainieren könnten?
Und sind nicht Hausaufgaben auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Lehrer ihren beruflichen Pflichten nachkommen können – wofür soll man die kleine Ute schließlich anschreien, wenn sie den Dreisatz zu Hause nicht mehr falsch anwendet? Weshalb kann man den rebellischen Torben noch alle Tafeln im Schulhaus wischen lassen, wenn er gar keine Gelegenheit mehr hat, seine Geschichtsaufgaben vom Hund auffressen zu lassen? Ohne Hausaufgaben würde vielen in der Schule etwas fehlen.