„Seid beim Träumen nicht bescheiden“


Philip Oprong Spenner (32) unterrichtet an einer Brennpunktschule in Hamburg, Foto: Gerald von Foris


Philip Oprong Spenner wuchs als Straßenkind in Kenia auf. Heute ist er Lehrer in Deutschland.


Herr Oprong Spenner, Ihre Tante hat Sie im Alter von neun Jahren auf den Straßen Nairobis ausgesetzt. Wie haben Sie dort überlebt?


Einfach war es nicht. Die ersten Schritte in der Hauptstadt waren sehr unsicher, und jeder erkannte das Landei in mir. Alles war mir fremd, dieses Gewusel war mir zu viel, und ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Es interessierte niemanden, dass ein Kind allein auf den Straßen herumirrte, weil es eben von dieser Sorte sehr viele gegeben hat und gibt. Ich musste klauen, betteln und Kinderarbeit verrichten. Am schlimmsten waren die Nächte. Ich musste Angst haben, von einer Hundemeute verscheucht zu werden. Und manchmal, wenn ich tief im Schlaf war, wurde ich von Ratten angeknabbert.


Heute sind Sie Lehrer an einer Hamburger Schule. Wie kam es dazu?


Ich hatte Glück, denn mit elf Jahren kam ich in ein Waisenhaus, in dem sich viele Leute für mich eingesetzt haben, damit ich zur Schule gehen konnte. Unter anderem eine irische Frau namens Mary und eine gewisse Heidi Schmidt, die die Verbindung zwischen mir und meinen späteren Pateneltern in Deutschland hergestellt hat.


Ihre Schule gilt als Brennpunktschule. Was bedeutet es Ihnen, dort zu unterrichten?


Ich kann behaupten, harte und drastische Bedingungen erlitten und überlebt zu haben. Das macht mich für das Milieu, in dem ich arbeite, widerstandsfähiger. Ich bin prädestiniert dafür, Lehrer zu sein, weil ich die Schule wirklich gesucht habe. Ich habe sie nie als selbstverständlich betrachtet, schon damals war sie für mich ein heiliger Ort. Heute noch habe ich diese Ehrfurcht vor der Schule als Ort der Möglichkeiten. Ich glaube, dass ich diese Begeisterung, die in mir steckt, auf meine Schüler übertragen kann.


Ein Lehrer mit einer so interessanten Lebensgeschichte kommt sicher gut an. Wie reagieren Ihre Schüler auf Sie?


Ich habe einen völlig anderen kulturellen Hintergrund. Dadurch bin ich nahe an der Lebensrealität meiner Schüler dran, für die das auch zutrifft. Leute mit meiner Hautfarbe assoziieren viele wahrscheinlich eher mit Jobs, die in der Gesellschaft nicht so hoch angesehen sind – bei allem Respekt vor solchen Jobs. Wenn sie dann aber sehen, dass jemand mit meiner Hautfarbe und meiner Lebensgeschichte es zum Lehrer gebracht hat, werde ich eine Motivation für sie sein. Da werden sie genauer hinhören, wenn ich sage, dass sie es genauso weit oder weiter bringen können, wenn sie sich Mühe geben. Aber auch anderen Schülern klassisch deutscher Herkunft mit schwierigen sozialen Bedingungen diene ich als Beispiel dafür, dass sie sich nicht als passive Opfer zu betrachten haben. Vielmehr haben sie die Möglichkeit, aus den Chancen, die ihnen die Schule selbstverständlich anbietet, selbst etwas zu machen und nicht bescheiden zu sein, wenn es darum geht, von ihrer Zukunft zu träumen.


Das Gespräch führte Jaromir Simon, 19 Jahre.


In seinem Buch „Move on up: Ich kam aus dem Elend und lernte zu leben“ hat Philip Oprong Spenner seine Erfahrungen verarbeitet (Ullstein Verlag, 2011, 368 Seiten, 18 Euro).

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