Bekehrt von Tim Bendzko

Bendzko Konzert im Lido
Vorm Lido. Foto: Privat

Für das Jahr 2012 habe ich mir einen Vorsatz besonders zu Herzen genommen: Das Überdenken von Vorurteilen. Als ich letzte Woche nach einem Konzert noch kurz vor der Halle stand, in dem ich mich musikalisch berieseln lassen hatte, war ich verwirrt – nicht ganz sicher, was ich davon halten sollte. Über mir prangerten noch die schwarzen Buchstaben mit der aufdringlichen roten Schrift: TIM BENDZKO SOLD OUT.


Von Phuong Duyen Tran, 16 Jahre



Der Berliner spielte an zwei aufeinander folgenden Abenden in seiner Heimatstadt. Beide Konzerte versprachen gefüllte Hallen. Fünfzehn Veranstaltungen hatte der junge Mann bereits hinter sich, tourte durch deutsche Städte und spielte in ausverkauften Clubs. Mehr als 30 Haltestationen in 45 Tagen. Tim Bendzko kam aus dem Nichts und glänzt heute in voller Pracht an der Spitze der deutschen Hitparade. Bei mir entstand so langsam der Eindruck, dass dieser gelockte Jüngling nicht so schnell wieder verblassen würde. Aber ich verstand einfach nicht, was diesen Hype ausmachte. Also besorgte ich mir ein Konzertticket.


Mit einer Unzahl von klischeebehafteten Erwartungen stehe ich also vor dem Konzert inmitten der bereits wippenden Menge im Berliner Lido. Ich stelle mir vor, was in den folgenden zwei Stunden auf mich zukommen würde: Das gewöhnliche Pipapo der Vorbands, dann Bendzkos großer Einmarsch, bei dem alle jubeln und mich links und rechts mit ihren Ellenbogen drücken würden um dem Blondschopf näher zu sein; dann sein überschwängliches Trällern von Leid und Liebe sowie die unbekümmerten Texte seines Kitsch- und Phrasen-Repertoires. Alle würden lauthals kreischen und sich darüber freuen, wie blau der Himmel plötzlich geworden sei, und wohl möglich am nächsten Tag ein Ticket für exakt den gleichen Gau im nächsten Monat kaufen. Ich stehe also leicht erhaben und unbeeindruckt inmitten des Geschehens – froh, dass ich nicht so naiv bin, dieser leichtfüßigen Musik zu verfallen. Als die Stimme aus dem Off zu singen beginnt, bestätigen sich meine ersten Befürchtungen: „Ich steh zwischen den Zeilen … ich will nicht begreifen, dass der Schein mich betrogen hat … Ich will endlich wieder echten Boden spüren, mich wird nichts und niemand in die Irre führen.“




Bendzko on Stage. Foto: Privat



Ich schmunzle ein wenig. Diese Phrasen, die im ersten Moment unheimlich poetisch klingen, erscheinen mir auf den zweiten eher lächerlich. Dann betritt der Star des Abends die Bühne. Alle jubeln. Ich nicht. Bendzko singt weiter. Zwischendurch einige Witze, von denen ich mir sicher bin, dass er sie auch auf jedem der vorigen 15 Konzerte bereits erzählt hat. Trotzdem erwisch ich mich beim lachen. Irgendetwas geschieht mit mir. Plötzlich ist nicht mehr „die Masse und daneben ich“, sondern „ich in der Masse“.


Ich muss einsehen, dass ich mich in drei Punkten geirrt habe. Nummer eins: Keine kreischenden, 15-jährigen Mädchen, die bereits fünf Stunden vor Konzertbeginn am Eingang campen. Stattdessen ein bunter Mischmasch aus Frauen und Männern Mitte 20. Nummer zwei: Keine körperliche Bedrängung. Keine Hitze. Kein Schweiß. Niemand rieb liebevoll seinen verschwitzten Körper an mich. Tatsächlich hatte ich auf keinem anderen Konzert zuvor so viel Platz – und ich stand sogar am Bühnenrand. Nummer drei: Obwohl sich meine anderen Vermutungen bewahrheitet haben, stand ich nicht erhaben in der Menge und machte mich über meine Nachbarn lustig. Im Gegenteil ertappte ich mich dabei, wie ich versuchte die Texte mitzusingen.


So stand ich also völlig verwirrt nach dem Konzert vor diesen leuchtenden Lettern und grübelte. Bestimmt kann man Bendzko für einen wortverliebten Poeten halten. Was mich aber an diesem Abend vielmehr beeindruckte, war seine Leichtigkeit. Irgendwie schien ich mich danach gesehnt zu haben, Musik zu hören, die nicht den Sinn hat ernst zu sein. Eine Art der Musik, die eben nicht künstlerisch ist, wie der ganze andere Kram, der auf meinem iPod hoch und runter läuft, sondern Texte, die gelassen und familiär sind. Ich hatte Spaß und das ist letztendlich das, was zählt.

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