Jede Nacht in einem anderen Bett


von Laura Harmsen, 20 Jahre


Abi auf Wohnungssuche: Wer lässt ihn heute bei sich schlafen? Foto: privat

Der Berliner Abi sucht sich täglich einen neuen Gastgeber. Und schreibt ein Buch darüber


Mit seinen zerschlissenen Jeans und dem Trekkingrucksack sieht Absalom Reichardt aus wie einer der Touristen, die scharenweise in den Berliner Hostels unterkommen. Für ihn würde das nicht infrage kommen. Die letzte Nacht hat „Abi“ bei einer Rockband geschlafen – nachdem wir uns verabschieden, wird er bei einer Schauspielkollegin übernachten. Wenigstens heute ist er sich da ziemlich sicher.


Seit etwa 50 Tagen schläft Abi keine zwei Nächte lang in derselben Wohnung. „Das war gar nicht geplant“, sagt er. „Meine Freundin und ich haben uns getrennt, dann schlief ich eine Nacht bei meinem Halbbruder, musste aber am zweiten Tag woanders hin. Da kam mir die Idee, das 50 Tage lang jeden Tag so zu machen.“ Gemeinsam laufen wir durch Neukölln, auf der Suche nach einem Café. „Meine Regel ist: jede Nacht woanders, keine Hotels oder Hostels.“


Zunächst hat Abi bei Bekannten übernachtet und ging zu großen Events wie Anti-Atomkraft-Demos, wo man erfahrungsgemäß viele 
Leute trifft, die locker genug sind, mal jemanden bei sich übernachten zu lassen. Abi lässt auch mit sich handeln: Schlafcouch gegen Küchenrenovierung oder Umzugshilfe. „Je länger ich das gemacht habe, umso einfacher wurde es. Mittlerweile habe ich etwa 50 Leute, die alle in ihrem Freundeskreis nach einem Schlafplatz für mich suchen.“


Endlich finden wir ein Schnellrestaurant, in dem sich Abi einen Kaffee holt. Er war gestern mit seinen Gastgebern noch lange weg, viele erwarten das. „Das kann schon manchmal stressig sein, wenn man trotzdem früh raus muss.“ Jeden Morgen setzt sich Abi in ein Café und schreibt an seinem Buch über diese 50 Tage und die Menschen, mit denen ihn das Schicksal zusammengeführt hat. Auf seinem Laptop hat er Fotos von jedem Gastgeber und jedem Bett. „Jeder war auf seine Art besonders. Ich habe Freunde gewonnen und viele neue Ecken Berlins kennengelernt, zum Beispiel ein Wohnzimmerkino im Friedrichshain oder den stillgelegten Spreepark.“ Und natürlich kennt er mittlerweile auch alle Tricks – wo es kostenloses WLAN oder öffentliche Toiletten gibt oder in welchem Hotel man umsonst frühstücken kann.


Abi hat schon bei Familien, Pärchen, Schülern und Studenten übernachtet, nur bei Rentnern noch nicht. Am Ende seiner Aktion wird er eine Party schmeißen für alle Gastgeber zusammen. „Man hat so eine Dankbarkeit in sich, wenn man von jemandem aufgenommen wird“, sagt er. 
Wir müssen weiter, denn Abi hat einen Videodreh mit seiner Band Yeomen. Wir treffen seine Kollegen in einer lichtdurchfluteten Dachgeschosswohnung an der Sonnenallee. Hier kann man sicher bequem übernachten. „Ich habe schon überall geschlafen, auf Matratzen, in tollen Betten, auf dem Boden, im Schlafsack“, sagt er. Er hat gelernt, sich an die Gegebenheiten und seine Gastgeber anzupassen. „Mittlerweile mache ich mir nicht mal einen Kopf darüber, dass ich im Mai eine neue Wohnung finden muss.“ Warum auch, zur Not kann er ja eine Fortsetzung für sein Buch schreiben.


Mehr Infos zu Absaloms Odyssee unter www.absalom-online.de

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