Prominent gefragt: Horst Evers


Horst Evers ist 
Kabarettist. Sein neues Programm „Großer Bahnhof“ startet morgen im Mehringhof
theater. (Foto: blz/Markus Wächter)
Horst Evers fragt die Jugendredaktion: „Meine liebsten Gespräche von Jugendlichen, welche ich in Bus oder U-Bahn belausche, sind ihre Diskussionen über die Zahl ihrer verschiedenen Identitäten, welche sie sich selbst in unterschiedlichen sozialen Netzwerken gegeben haben. Habt auch ihr mehrere virtuelle Identitäten? Falls ja, denkt ihr, dass diese virtuellen Identitäten euer Denken trainieren und bereichern? Oder ist es doch vor allem Stress?“


Die Jugendredaktion antwortet: Oh, oh, Herr Evers, Sie fassen ein heißes Eisen an. Denn die meisten Jugendlichen liegen – wie ich – ständig im Clinch mit ihren virtuellen Identitäten. Das liegt – wie bei mir – zumeist daran, dass sich die virtuellen Identitäten zunächst sprunghaft vermehren, anschließend verselbstständigen und schließlich den lieben langen Tag nicht Besseres zu tun haben, als im Netz Unfug anzustellen, auf den man im richtigen Leben nicht mal im Traum kommen würde.


Die Populationsrate virtueller Identitäten im Internet ist derart hoch, dass gegen sie selbst Thilo Sarrazins Hochrechnungen zur Geburtenrate von Migrantenkindern alt aussehen. Und wer einmal so eine Horde virtueller Identitäten auf die einschlägigen sozialen Netzwerke losgelassen hat, hat schon bald keine Kontrolle mehr über sie. Das fängt bei der Namensgebung an. Warum wollen meine virtuellen Identitäten unbedingt chixterminator38 oder cool.surfer3748 heißen?


Auch der Sprachgebrauch meiner virtuellen Identitäten lässt zu wünschen übrig. Sie schreiben zum Beispiel für alle lesbar in einem großen virtuellen Netzwerk Dinge wie „Urlaub auf Malle war voll geilo!“. Für solche Formulierungen würde mich die Redaktionsleitung, die diese Texte abnimmt, achtkantig rausschmeißen, wenn sie nicht wie hier als Negativbeispiel gebraucht würden.


Überdies sind die virtuellen Identitäten nicht imstande, Gemütszustände wie Freude, Trauer oder Wut mittels passender Formulierungen in ihren Texten zum Ausdruck zu bringen. Stattdessen verwenden sie mäßig geistreiche Kombinationen aus Klammern und Kommata hinter den Sätzen ;).


Einige meiner Identitäten bringen mich sogar im richtigen Leben in Schwierigkeiten. Zum einen, indem sie Fotos von mir, auf denen ich blamabel aussehe und in blamablem Zustand bin, als Profilfotos missbrauchen. Zum anderen, indem sie Termine für mich organisieren, die ich nicht einhalten kann. So zum Beispiel, wenn meine Flirtchat-Identität nach einer halben Stunde virtuellem Smalltalk mit wildBunnyDoppelD25 aus Darmstadt fragt, ob man sich zum weiteren Austausch nicht auf halber Strecke in einem Hotel in Bielefeld treffen wolle.


Um also zu einer Antwort auf Ihre Frage zu kommen: Ja, all den Blödsinn im richtigen Leben aus der Welt zu schaffen, den die virtuellen Identitäten im Internet anstellen, trainiert und bereichert vor allem das problemlösungsorientierte Denken. Und: Ja, das bedeutet eine Menge Stress.


Ihr Vivian Yurdakul (20 Jahre)

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