Ein Mann fühlt sich etwas zu privilegiert und belegt gleich zwei Sitzplätze in der U-Bahn
Manspreading

Warum werden junge Frauen so schlecht behandelt?

Manchmal ist es witzig, was Männer sich jungen Frauen gegenüber erlauben – meistens aber nicht

Im Hausflur wünscht mir ein Nachbar einen guten Morgen. Ich erwidere seinen Gruß, wohl zu leise für seine in die Tage gekommenen Ohren. Er wird laut: „Juten Morgen, hab ick jesacht, junget Frollein!“

Eine Viertelstunde später steuere ich den Bäcker im U-Bahnhof an. Zwei andere junge Frauen stehen bereits in der Schlange. Ich stelle mich als Dritte an. Die Verkäuferin ist offensichtlich beschäftigt, da erreicht ein weiterer Kunde den Backstand. Er stellt sich neben die erste Frau in der Schlange, hält einen Fünfer über die Theke und gibt seine Bestellung auf. Neben einigen entgeisterten Blicken bekommt er zum Glück auch einen patzigen Spruch von der Verkäuferin gedrückt. Böse murmelnd reiht er sich hinter mir ein.

In der Bahn sichte ich einen einzigen Platz, für den sich niemand zu interessieren scheint. Auf dem Platz sitzt ein Rucksack. Ich spreche den Besitzer an, aber er starrt weiter nach unten auf das Display seines Handys. Ich beuge mich leicht zu ihm runter, signalisiere in gebückter Haltung mein Interesse an dem Platz, den sein Rucksack dringend zu brauchen scheint. Genervt nimmt er schließlich seine kostbare Fracht auf den Schoß. Dabei kann er sich weder ein Stöhnen noch ein Augenrollen verkneifen.

Keine dieser Begegnungen ist für sich betrachtet ein Weltuntergang. Dennoch frage ich mich, wie es sein kann, dass ich innerhalb einer halben Stunde von drei verschiedenen Männern überhört, übersehen beziehungsweise wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wurde. Unsichtbar war ich bei einer Körpergröße von 1,72 Metern wohl kaum. Vermutlich liegt es an der Tatsache, dass ich eine junge Frau bin. Junge Frauen gehören nämlich erzogen, belächelt, überhört, in eine Schublade mit unmündigen Kindern gesteckt. Besonders für ältere Männer. Das habe ich schon öfter erfahren.

Hoffen auf den Mann von morgen

Manchmal ist es beinahe witzig zu erleben, mit welchem Selbstverständnis junge Männer breitbeinig Rolltreppe fahren, sodass das Überholen unmöglich ist, oder mit welcher Überzeugung sich ältere Herren darüber echauffieren, dass meine Jeans Löcher an den Knien hat. Witzig ist es nicht mehr, wenn uns Bevormundung und Ignoranz im Job, in der Familie oder in der Politik begegnen.

Was die Gegenwart betrifft, bin ich pessimistisch. Ich denke, die Vermittlung grundlegender Werte muss bereits in der heißen Phase der Sozialisierung versäumt worden sein. Hoffnungsvoll bin ich hingegen, was die Zukunft angeht: Ich traue der nächsten, noch prägbaren Generation an Männern einiges zu, auch Respekt gegenüber Frauen in diesen scheinbar kleinen Momenten des Alltags. Nur das, was auf der Mikro­ebene funktioniert, läuft auch im großen Gesamtkonstrukt unserer Gesellschaft.

Beitragsbild: Olivier Arandel/dpa

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