Mehr als Nazis, Hunde und Plattenbauten

Ja, doch: Aus der Nähe sähe man auf der Oberbaumbrücke Hipster und auf dem Alex unbeaufsichtigte Hunde. Aber im Ganzen ist Berlin dennoch schön.
Ja, doch: Aus der Nähe sähe man auf der Oberbaumbrücke Hipster und auf dem Alex unbeaufsichtigte Hunde. Aber im Ganzen ist Berlin dennoch schön.

Ein Blick in die Buchhandlungen zeigt: Berlin-Bashing ist Mode. Die Jugendredaktion macht da nicht mit.

„I hate Berlin: Unsere überschätzte Hauptstadt“, „Berlin zum Abkacken“ oder „Vergiss Berlin“ sind Titel, die einem neuerdings beim Stöbern in der Buchhandlung ins Auge springen. Nachdem Berlin gehypt wurde, ist nun Berlin-Bashing an der Tagesordnung und jeder Stadtteil kriegt sein Fett weg: Neukölln ist abgeranzt, Kreuzberg voller Hipster, in Prenzlauer Berg leben nur neureiche Latte-Macchiato-Muttis und Charlottenburg ist alt und konservativ. Gut leben lässt sich nirgends mehr. Oder? Unsere Jugendreporter wagen den Widerspruch und verraten, weshalb es in ihren Heimatbezirken nicht so schlimm ist, wie alle behaupten:

Spandau: In dem Bezirk stehen viele Hochhäuser, die nicht gerade gediegenen Vorstadtcharme ausstrahlen. Das kann ich nicht leugnen. Dennoch wird dem Stadtteil zu Unrecht nachgesagt, er habe die schlechte Lage des Stadtrands, aber nicht seine Vorzüge. Ich wohne in Staaken, dem Spandau von Spandau sozusagen. Dort gibt es Seen, viel Grün, Einfamilienhäuser, unasphaltierte Wege und trotzdem eine schnelle Regionalbahnanbindung an Berlin. 
(Simon Grothe, 17 Jahre)

Wilmersdorf: Mag sein, dass in Wilmersdorf nicht so viel los ist wie in Kreuzberg oder Mitte, trotzdem heißt das nicht, dass hier nur Spießer und Langweiler leben. Es gibt zwar viele alte Witwen mit kleinen Hunden, aber die sieht man auch überall sonst. Spannender sind andere Bezirke vielleicht. Um als Kind aufzuwachsen, ist Wilmersdorf jedoch perfekt. (Charlotte Falinski, 14 Jahre)

Tempelhof: 2010 ist mein Bezirk populär geworden. Wer ihn zuvor langweilig und charakterlos fand, kann sich seitdem auf dem Tempelhofer Feld eines Besseren belehren lassen. Die meiste Zeit als Naherholungsgebiet genutzt, finden dort inzwischen auch weltweit bekannte Messen und Festivals statt. (Jaromir Simon, 19 Jahre)

Neukölln: Früher für Schießereien und randalierende Rütli-Schüler bekannt, gilt Neukölln heute als junges Szeneviertel auf noch schmutzigem Pflaster. Ja, es ist dreckig. In den Straßen keines anderen Stadtteils sind Müllberge und Hundehaufendichte höher. Gerade das aber macht Neukölln bunt. Die Interkulturalität, das fehlende Geld und nicht zuletzt der schlechte Ruf sorgen dabei für große Hilfsbereitschaft und Ideenreichtum. Das zeigt zum Beispiel das große Angebot an kostenlosen Sprachkursen und Anti-Mietwucher-Beratungen – und je hipper Neukölln wird, desto wichtiger werden sie. (Anna-Lisa Menck, 23 Jahre)

Kreuzberg: Morgens treffen in der U8 Studenten nach einer langen Nacht auf Senioren auf dem Weg zum Frühstückstreff. Das Geläut von Kirchenglocken und der Muezzin wechseln  sich ab. Auf Schulfesten werden neben Bouletten Falafel verkauft. Diese Begegnungen sind Herausforderungen, aber sie machen den Bezirk zum Kiez. (Ayla Siray, 18 Jahre)

Weißensee: Künstler und Glamour gab es einst in meinem Heimatbezirk. Der Stadtteil, der in der Weimarer Republik szenig war, ist heute mit Vorurteilen belastet. Erzähle ich, dass ich in Weißensee lebe, ernte ich höchstens beeindruckte Blicke, wenn mein Gegenüber nicht aus Berlin ist und es mit Halensee verwechselt. Berliner denken an Nazis und alte Menschen. Dabei sind der Weiße See und die Strandbar dort einen Besuch wert, es gibt viele grüne Ecken. Wer aber heute Glamour sehen will, muss nach Halensee. (Bill Schneider, 18 Jahre)

Lichtenberg: Wenn ich meinen Wohnbezirk nenne, sind die Reaktionen meist: „Da ist doch alles braun“ oder „Du wohnst bestimmt in der Platte“. Die Klischees, die viele mit Lichtenberg verbinden, treffen auf den größten Teil des Bezirks nicht zu. Ich wohne nicht im grauen Betonwürfel. Statt Neonazis leben in meinem Kiez viele Familien und ältere Leute. (Aniko Schusterius, 16 Jahre)

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Kategorien Gesellschaft Zwischendurch

90er-Kid, Bücherwurm, Weltenbummler. Ich liebe Musik und das geschriebene Wort. Letzteres kann man von mir seit 2012 hier lesen. Meine große Leidenschaft gilt dem Theater, das mich mehr als alles andere fasziniert. Wenn ich durch die Straßen Berlins laufe, kommt mir das Leben vor wie eine Aneinanderreihung vieler kleiner Inszenierungen, deren Geschichten alle festgehalten werden wollen. So inspiriert mich unsere Hauptstadt stetig zu neuen Themen für unsere Seite.