Oft haben Einzelkinder mit Vorurteilen zu kämpfen: Soziale Inkompetenz und Einzelgängertum werden ihnen unterstellt. Unsere Autorin geht dem Klischee auf die Spur.
Egoistisch, sozial inkompatibel und eigenbrötlerisch – so sind wir Einzelkinder. Zumindest propagieren das diejenigen, die selbst keine sind. Schon in der Grundschule wurde ich von Gleichaltrigen mit derartigen Vorurteilen konfrontiert. Zunächst begegnete ich dem eher defensiv und fügte meinem demütigen „Ja, vielleicht“ ein „Aber ich habe es mir ja nicht ausgesucht“ hinzu. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich erzählte, dass wir zu Hause zu dritt (und glücklich damit) waren.
Mit zunehmendem Alter und Selbstbewusstsein stand ich immer mehr über solchen Kommentaren. Vor allem aber merkte ich, dass ich keine der für Einzelkinder angeblich typischen Eigenschaften besaß. Im Gegenteil: Ich war und bin ein teamfähiger, empathischer, geselliger Mensch und wer mich kennt, weiß und schätzt das. Warum sollte jemand wie ich, der sich nie gegen Geschwister beweisen musste, auf einmal die Ellenbogen ausfahren? Dazu fehlt mir als Einzelkind, anders als euch Geschwisterkindern, doch jegliche Übung!
Interessant ist auch, dass viele Menschen noch Jahre später an dem Klischee festhalten und es, wann immer es ihnen passt, geschwisterlosen Menschen ins Gesicht schleudern! Woher kommt diese gehässige Aufdringlichkeit, dieser Konsens, mit dem Einzelkinder, die sich vielleicht immer Geschwister gewünscht haben, herabgewürdigt werden?
Kritik oder Neid?
Schaut man sich an, was genau Einzelkind-„Gegner“ an uns zu bemängeln haben, fällt schnell auf, dass sie keine Gegner, sondern Neider sind: „Einzelkinder müssen nie teilen“ oder „Einzelkinder sind immer Mamis und Papis Liebling“ sind beliebte Kritikpunkte, lassen allerdings auch in tiefe persönliche Abgründe blicken. Die Vorstellung, alle Spielsachen nur für sich zu haben und sich die elterliche Aufmerksamkeit nicht erkämpfen zu müssen, klingt doch eigentlich sehr verlockend.
Spricht etwa die Eifersucht aus euch? Zumindest ist das wiederum eine Eigenschaft, die ich, wenn ich wollte, eher Menschen mit Geschwistern zuschreiben würde. Habt ihr immer noch das Bedürfnis, zu beweisen, wie toll ihr seid? Wie damals, als ihr die Sandburg eures Bruders zertreten habt, damit eure besser wirkt, wenn Mama zurückkommt? Bitte werdet erwachsen, versteht, dass beides Vor- und Nachteile hat, und gönnt es uns, Einzelkind zu sein, so wie wir euch eure Geschwister gönnen.