Benjamin Melzer
In seinem Buch "Endlich Ben" erzählt Benjamin Melzer von seinem Weg vom Mädchen zum Mann.
Interview

Benjamin Melzer: „Ich habe nie so oft geweint, wie während des Buchprozesses“

14 Operationen hat es gebraucht, bis aus Yvonne Benjamin wurde. Im Interview berichtet er darüber, wie es sich anfühlte zu erkennen, im falschen Körper zu stecken, warum er nicht als Transmann bezeichnet werden möchte und dass manche Leute, die ihn interviewen, leider ihre gute Kinderstube vergessen.

Was bedeutet es dir, dieses Buch über deinen Weg vom Mädchen zum Mann geschrieben zu haben? Ist es eher Selbsttherapie oder Ratgeber?

Es ist ein bisschen von beidem. Damals gab es nichts, das mir helfen konnte. Ich stand vor einem riesen Berg an Fragen die mir einfach keiner beantwortet hat. Viele reden ja darüber und sagen, du musst die und die Schritte gehen, du musst zum Psychologen. Dieses oberflächliche Wissen bekommst du schon, auch damals. Nur wollte ich eigentlich wissen: „Hast du noch Gefühl?“ „Wie funktioniert das?“ „Wie groß, wie dick, wie läuft das alles überhaupt?“ Das sagt dir keiner. Nicht nur als Betroffener, aber gerade als Betroffener willst du das einfach wissen. Das war hauptsächlich Intention hinter dem Buch. Diese Theraphiegeschichte kam eher unbewusst. Ich hätte nicht gedacht, dass das nochmal so krass wird. Es ist ein bisschen wie Treibsand. Du läufst erstmal oben drauf rum und je mehr du dich bewegst, je mehr du schreibst, desto tiefer sinkst du ein und dann fallen dir plötzlich Dinge ein, die du längst vergessen hast. Ich habe noch nie so oft geweint, wie während dieses Buchprozesses. Und ich weine nie. Damit hätte ich nicht gerechnet. Das ist schon mein Innerstes, was da in dem Buch steckt.

Im Buch beschreibt dein Papa ja auch, dass er vor allem Angst davor hatte, dass du nach deinen OPs nichts mehr spürst. Dass du dann zwar körperlich zufrieden bist, aber alles andere nicht so funktioniert, wie du es dir erhofft hast.

Jeder zeigt ja seine Angst anders. Ich hatte auch Angst, dass ich nichts mehr fühle nach den ganzen OPs. Aber trotzdem hätte ich das in Kauf genommen. Am Abend vor der großen OP dachte ich auch, okay, vielleicht funktioniert es danach nicht mehr. Aber dann bist das trotzdem du. Dann bist du endlich du. Auch nach all dem Scheiß, den ich durchhabe nach den 14 OPs – ich würde das immer wieder machen! Trotz all der Schmerzen.

„Endlich Ben: Transgender – Mein Weg vom Mädchen zum Mann“ ist bei Eden Books erschienen.

Es klingt in deinem Buch so, als ob du dir eigentlich schon immer bewusst warst, dass du lieber ein Junge gewesen wärst, ohne es so benennen zu können. Wie hat sich das angefühlt?

Das ist eine absolute innere Zerrissenheit. Als Kind, vor der Pubertät bist du ja wie jeder andere irgendwie. Ich meine, wen interessiert was du zwischen den Beinen hast? Als Mädchen bin ich auch im Schwimmbad oben ohne rumgelaufen, da war ja nix. Und schon im Kindergarten habe ich mich als Max vorgestellt. Es war die ganze Zeit in mir. Es hat sich immer wieder gezeigt. Mit der Pubertät ploppte dieses Fragenzeichen auf. Aber das konnte ich wunderbar verdrängen. Hab es verdrängt und einfach meinen Sport gemacht. Meine Mama hat mich so sein lassen wie ich wollte, mein Papa hat mich eher gedemütigt, als er wollte, dass ich ein Kleid oder eine Bluse anziehe, um einen Basketball zu bekommen. So lange nicht zu wissen, was ist das – ich habe mich einfach alleine gefühlt. Ich habe gedacht, ich bin ganz allein auf dieser Welt. Ich dachte: Okay du stehst auf Frauen, hast einen weiblichen Körper, vielleicht fühlt sich das ja so an, wenn man lesbisch ist. Obwohl ich in mir wusste, nein ich bin nicht lesbisch. Also wurde es einfach wieder verdrängt.

Hast du dir schon mal darüber Gedanken gemacht, wie du dein Kind erziehen würdest? Auch angefangen von den Farben im Kinderzimmer?

Darüber haben meine Freundin und ich uns tatsächlich schon mal unterhalten. Sissi und ich stehen einfach beide auf gutes Design, da wären helle Farben, ein schöner Teppich, aber nichts mit blau oder rosa, das ist einfach nicht unser Stil. Und wenn der kleine Kopf dann anfängt zu denken, sagt er dir eh was er will. Ob Mädchen oder Junge, Hauptsache das Kind ist glücklich. Mir wurde letztens die Frage gestellt „Mein Junge ist 8 und sagt ich bin ein Mädchen. Soll ich das jetzt schon ernst nehmen?“ Ja! Auf jeden Fall! Sprich mit deinem Kind darüber. Kann natürlich sein, dass es eine Phase ist, aber was, wenn nicht? Sucht euch professionelle Hilfe. Und gerade wenn ein kleiner Junge sagt, er ist ein Mädchen. Wenn da einmal der Bartwuchs anfängt und die Stimme bricht, dann ist es natürlich unfassbar schwierig. Ich glaube es ist leichter von den Veränderungen her, nicht von den OPs, von Frau zu Mann. Andersherum, wenn du ein vollentwickelter Mann bist, vielleicht noch mit dichtem Bartwuchs, kann es sehr schwierig sein. Ich würde sowas auf jeden Fall ernst nehmen.

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Wie haben deine Verwandten reagiert?

Irgendwie war das immer eine unausgesprochene Tatsache. Und als ich mich dann zum Beispiel vor meinem Onkel geoutet habe – ich habe es allen persönlich gesagt – war er richtig erleichtert. Wir hatten früher auch ein schwieriges Verhältnis. Ich glaube, er wusste mich immer nicht so richtig zu packen. Ich war ein kleiner frecher Junge, aber eigentlich ja ein Mädchen. Wir haben heute ein viel besseres Verhältnis als früher. Für ihn ist jetzt alles viel klarer, er kann mich jetzt zuordnen. Für viele ist auch unbewusst ein Knoten geplatzt. Auch meine Oma hat gesagt, es ändert sich gar nichts außer der Name und das ist ja nochmal eine ganz andere Generation.

„Ich habe meinen Verwandten gesagt: Macht mit oder bleib auf der Strecke.“

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Als du es dann allen gesagt hast, war da von Anfang an klar, okay, ab jetzt sofort bin ich Ben oder ist da dem einen oder anderen nochmal Yvonne rausgerutscht?

Sicherlich ist dem einen oder anderen nochmal Yvonne rausgerutscht. Ich war da völlig verständnislos. Ich dachte so: „Ey, das kann nicht sein!“ Heute würde ich meinem jüngeren Ich sagen: „Sei mal ein bisschen verständnisvoller und geduldiger. Auch mit deinem Umfeld. Sei nicht so egoistisch.“ Die haben mich ja 23 Jahre Yvonne genannt. Meinem Papa ist das tatsächlich häufiger rausgerutscht. Manchmal, um mich vielleicht auch ein bisschen vor den Kopf zu stoßen. Aber ich will gar nicht über ihn schimpfen, er ist wesentlich ruhiger heute und wir kommen klar. Aber er hat es mir nicht immer so leicht gemacht. Bis ich irgendwann gesagt habe, mach mit oder bleib auf der Strecke. So habe ich das mit allen gemacht und komischerweise ist keiner auf der Strecke geblieben. Ich bin da richtig „I don’t give a fuck“-mäßig rangegangen.

Verletzt dich das, wenn solche Fragen kommen, wie: „Was? Du warst mal eine Frau?“

Das verletzt mich nicht. Ich höre das oft. Auch sowas wie: „Das sieht man ja gar nicht, dass du mal eine Frau warst.“ Ich weiß immer gar nicht, was ich darauf sagen soll. Eigentlich war ich nie eine Frau. Wenn das jetzt einer so sagt, dann denke ich mir immer nur: Ja, anscheinend ist es ganz gut geworden.

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Wenn du über dich selbst nachdenkst, sagst du dann, du bist Ben, du bist ein Mann oder bezeichnest du dich eher als Transgender oder macht das keinen Unterschied?

Ich sage, ich bin Ben, ich bin ein Mann. Ich hasse es gelabelt zu werden. Ich hasse es zu sagen, ich bin ein Tansmann, weil ich mich einfach nicht so sehe. Ich sage immer, ich wurde geboren als Mädchen, ich war ein Transmann während der OPs und jetzt bin ich ein Mann, was ich eigentlich schon immer war. Wenn ich über Yvonne rede ist das eine andere Person. Rede ich über diesen Weg, dann ist das auch eine andere Person. Ich bin ein Mann und ich möchte auch, dass die Gesellschaft das so sieht.

„Leider vergessen manche Leute, die mich interviewen, ihre gute Kinderstube.“

Benjamin Melzer

Empfindest du es als anstrengend, immer wieder deine Geschichte zu erzählen? Zwangsläufig gelabelt zu werden?

Es kommt immer darauf an, wie es wertgeschätzt wird. Ich habe gar kein Problem darüber zu reden. Aber es strengt mich an und es macht mich wütend, darauf reduziert zu werden. Dass Firmen teilweise sagen: „Ah das ist gerade hip, nehmen wir den Ben mal hier, als Quotentrans, zeigen Diversity aber eigentlich sind wir gar nicht offen für sowas. Die eigentliche große Kampagne machen wir aber dann nicht mit ihm. Dafür nehmen wir Model xy.“ Das macht mich wütend. Oder wenn mir in Interviews solche Fragen gestellt werden, wie: „Wie ist denn dein Orgasmus?“ Sorry, wir sehen uns gerade zum ersten Mal, wir kennen uns nicht. Das ist eine Frage, die würdest du niemanden in einem normalen Gespräch stellen. Leider vergessen manche Leute, die mich interviewen, ihre gute Kinderstube. Mir ist ja grundsätzlich nichts unangenehm. Ich gebe so viel Preis, möchte aber auch einiges für mich behalten.  

Würdest du sagen, du bist angekommen?

Ja, ich bin vollständig angekommen.

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„Ich habe mir nie vorgenommen, zu schreiben. Ich habe damit angefangen, als ich mir nicht anders zu helfen wusste.“ Das sagte die Nobelpreisträgerin Herta Müller und so habe auch ich angefangen zu schreiben. Für mich ist das Schreiben seit langer Zeit mein Ventil, meine Motivation und eine Möglichkeit, meine Gedanken zu ordnen. Neben dem Schreiben sind für mich, mit meinen 23 Jahren, Bücher, Filme und alles was mit Kultur zu tun hat großen Leidenschaften. Die kann ich dank Spreewild ausleben.