Das Kartenspiel „Vertellis“ soll für gute Gespräche sorgen. Wir haben es mit Freunden gespielt.
Heiligabend. Festessen, Bescherung und seliges Beisammensein. Und dann ergreift dieser eine Fettnäpfchenkandidat das Wort: „Na, wann bist du endlich fertig mit Studieren? Schon wieder durch die Fahrprüfung gefallen? Ach, du bist noch immer Single?“ Himmlisch. Dabei könnten wir doch über so viel schönere Dinge sprechen. Das dachten sich auch Liz, Bart und Lars und kreierten ein eigenes Kartenspiel, das tiefgründige Gespräche und Quality Time erzeugen soll. „Vertellis“ ist heute so erfolgreich, dass die niederländischen Entwickler es selbst in Talkshows vorstellen und sich vor überschwänglich positiven Kritiken auf sämtlichen Onlineplattformen gar nicht mehr retten können. Doch ist das Spiel tatsächlich so gut und innovativ, wie alle sagen?
Wir wollen es genau wissen. Erhältlich ist das Spiel in drei Editionen: für Familien, für Paare und als Holiday-Ausgabe, die für Gruppen jeder Art spielbar sein soll. Wir testen Letztgenannte. Als Versuchskaninchen dienen mir zwei Freunde, die mit mir in den vergangenen Jahren sowohl Hochs als auch Tiefs erlebt haben. Die Vertrauensgrundlage für tiefgreifende Gespräche ist also da. Nur dass die beiden einen Spieleabend ganz klar mit „Monopoly“, „Siedler“ oder „Mister X“ verbinden und dem „Zwangsgelaber“ skeptisch gegenüberstehen. Jungs, denke ich …
Wir kommen rasch ins Erzählen
Das Prinzip ist leicht nachzuvollziehen. Es gibt 46 Karten mit jeweils einer Frage, das Spiel wird in vier Runden gespielt. In der ersten und der dritten Runde beantwortet man selbst Fragen zu den vergangenen zwölf Monaten. In Runde zwei und vier müssen die Mitspieler die Erlebnisse, Gedanken und Träume der anderen erraten. Und „Vertellis“ sei Dank sind da auch Punkte zu gewinnen – denn würden meine beiden Spielpartner wissen, dass die Gespräche der eigentliche Sieg sind, wäre die Motivation wohl dahin.
Doch falsch gedacht! Nach anfänglichem Murren kommen wir ins Erzählen. Bei der Frage nach dem Grund für das lauteste Lachen oder danach, welche drei Personen einen besonders beeinflusst haben. Wir gelangen vom Hundertsten ins Tausendste, schweifen ab, erinnern uns an alte Kamellen. Nicht jede Frage hat solches Potenzial, doch am Ende eines langen Abends sind wir erst in Runde drei und haben jede Menge über uns und einander dazugelernt. Mehrfach fanden auch Gedanken und Gefühle ihren Platz, die im Alltag kaum ausgesprochen werden.
Keine Garantie, dass es klappt
Ob wir „Vertellis“ erneut spielen werden? Vielleicht mit weiteren oder anderen Personen. Womöglich sind wir vom Alter her auch nicht die direkte Zielgruppe, funktionieren kann es trotzdem. Eins ist sicher: „Vertellis“ ist keine Lösung für Beziehungsprobleme und keine Garantie für verbindende Momente. Doch es kann den Anfang für all das liefern – nämlich Kommunikation. In Zeiten von Handys als Partnerersatz und enormem Stress durch steigenden Leistungsdruck gewinnt offene Kommunikation an Bedeutung. Wer sich darauf einlässt, kann dem alljährlichen Weihnachts-Small-Talk vielleicht elegant entgehen.