Der Wedding des C-Bereichs: Unsere Antwort auf Brandenburgs Berlin-Bashing-Video

Brandenburg hat einen neuen Imagefilm – in dem eigentlich nur das hippe Berlin gebasht wird. Danke für diese Vorlage! Unsere Antwort:

Trends zu entdecken, kann so einfach sein. Dank eines neuen Werbeclips rückt gerade ein Berliner Randbezirk ins Rampenlicht, der bisher als Geheimtipp unter dem Hype-Radar geblieben ist. Brandenburg nennt sich das rurale Kleinod und ist vor allem: total im Kommen. Quasi der Wedding des C-Bereichs, nur ohne den ganzen Großstadt-Schnickschnack wie Falafel-Läden, Bars und Bushaltestellen mit Digitalanzeige. Oder Menschen.

Stattdessen lockt das Video mit einem See in #nofilter-Ästhetik, der besonders aus der innovativen Drohnenperspektive höchst instagramtauglich erscheint. In der dünn besiedelten Idylle besteht jedenfalls keine Gefahr, dass sich die Influencerkonkurrenz mit aufs Bild drängeln könnte. Duckfaces machen nur die echten Enten, die in Slow Motion über die Wasseroberfläche gleiten und damit den Spirit des ländlichen Berlin-Trabanten authentisch widerspiegeln.

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Wo Nachtbusfahrpläne bereits tagsüber gelten

Sogar die Fahrt mit dem örtlichen Nahverkehr ist Detox auf Rädern. Die Abfahrtszeiten der Retro-Busse sind auf das Nötigste reduziert, Minimalismus on point. Damit ist Brandenburg dem Rest Berlins infrastrukturell einen Schritt voraus: Die Nachtbusfahrpläne gelten hier bereits tagsüber. Mußestunden im Wartehäuschen eignen sich zur Beobachtung bodenständiger Jugendlicher, die im gemeinsamen Spiel auf einsame Funkmasten klettern. Auf der Suche nach Netzempfang und diesem Internet, über das die Dorfältesten neuerdings tuschelten. Social-Media-Sucht? Kein Thema.

Tinder heißt hier „Bauer sucht Frau“

„Einfach machen, was man will“, lautet das konkrete Versprechen der brandenburgischen PR-Abteilung. Himmlisch! Wo Anarchie im Alltag herrscht, muss sich auch niemand über die GroKo aufregen. Ministerinnenposten werden mit Handschlag und einem doppelten Obstler vergeben. Es kann so einfach sein. Aber nicht nur die Politik, auch Dating ist in Brandenburg der reinste Waldspaziergang. Tinder heißt hier „Bauer sucht Frau“. Singles aus dem Nachbardorf werden prinzipiell nach links geswiped. Und lässt sich der Kegelclubbekanntschaft von gestern Nacht partout kein Name mehr zuordnen, soufflieren die Nachbarn aus dem Gebüsch. Anonymität ist eben echt out.

Anstatt wannabe-ökologischer Prenzlauer-Berg-Pommes gibt es das DIY-Set, bestehend aus einem scharfen Messer und einem Sack Kartoffeln aus dem Selbstversorger-Keller. Bio ist in Brandenburg nicht nur ein Modewort – es ist die matschige Erde an den rau geschälten Fingern der Slow-Food-Junkies. Lebensqualität bedeutet Entschleunigung: auf brachliegendem Bauerwartungsland die Sonnenliege aufklappen und „einfach mal gar nichts machen, ohne das Gefühl, irgendwas zu verpassen“. Passiert ja auch nichts. Brandenburg Tag und Nacht: eine Wiederholung in Endlosschleife.

Wenn dein neuer Haarschnitt an der Käsetheke für Furore sorgt und du als Ü-30-Mensch zur geschützten Minderheit zählst – das ist Brandenburg. Und wer sich in Berlin so richtig heimisch fühlt, kann dort endlich wieder zugezogen sein.

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Kategorien Gesellschaft Zwischendurch

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.