Klartext

Weihnachten, oder auch: Der Stress, zu lieben

Weihnachten ist verdammt stressig? Stimmt. Passen wir doch einfach die Weihnachtsgeschichte der Realität an! Ein Kommentar. Ein Kommentar.

„Ach, ich muss ja noch …“ – das ist wohl der Satzanfang der Vorweihnachtszeit. Ich muss ja noch entspannt über den Weihnachtsmarkt schlendern, Glühwein auf fragwürdigen Weihnachtsfeiern trinken, hammermäßige Vanillekipferl backen, total fröhlich die zweite Stimme von „O du Fröhliche“ lernen und vor allem muss ich noch Geschenke besorgen: Geschenke für die Schwester der Frau meiner Tante, die Kinder des neuen Freundes meiner Mutter und den Mitbewohner meiner Freundin. Am liebsten würde ich ja der älteren Tochter meiner Mutter, sprich mir, das Geschenk machen, sich zu entspannen. Aber so läuft das nicht.
„Ich muss noch …“ jagt mich in die Einkaufsstraße, um zu „Ich hab schon …“ zu werden. Ich besorge belanglose Dinge, die ich nicht kaufen und die beschenkte Person eigentlich nicht haben will. Das sind dann Tees und Süßigkeiten in superniedlichen Verpackungen, Bücher, die nie gelesen werden, glitzernde Schmuckstücke, die mit hoher Wahrscheinlichkeit für geschmacklos befunden werden, pädagogisch hochwertvolle Experimentiersets für Kinder, die nie experimentieren, und Notizhefte mit golden verschnörkelten Einbänden.
Wenn dann die heiße Phase der Bescherung ansteht, schwenken wir vom Sich-gezwungen-fühlen zu meist gespielter Freude und Interesse an den anderen Schenkenden und ihren Geschenken. Und wenn der ganze Klimbim vorbei ist, sitzen alle auf einem riesigen Haufen an Dingen, die sie weder behalten noch wegschmeißen wollen. Die Süßigkeiten halten bis Februar, der Rest fungiert als Staubfänger.
Was also sollen wir tun?
Was kann passieren, damit Weihnachten wieder zu dem gemacht wird, was es eigentlich ist? Schreiben wir doch die Weihnachtsgeschichte um! Der Ursprung des Festes der Liebe muss angepasst werden. Verschweigen wir nicht länger, dass die Heiligen Drei Könige dem kleinen Jesus ein Experimentierset und 100 putzige Engelchen mitgebracht haben, dass Maria während der Geburt Schokolade aus superniedlichen Verpackungen gegessen hat und dass Josef die ganze Geschichte in einem Notizheft mit golden verschnörkeltem Einband dokumentiert hat. Vielleicht könnten am Himmel ein paar iStars blinken und die Hirten mit Markenschuhen und mittels Google Maps den Weg finden. Schließlich haben wir jetzt verstanden, was Weihnachten wirklich bedeutet und dass ein schönes Miteinander nur mit genügend Konsum funktioniert und Liebe am allerbesten über materielle Dinge ausgedrückt werden kann. Ich finde, das klingt nach einer hervorragenden Idee. Ich schreibe es sofort auf meine „Ich muss noch …“-Liste.

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Kategorien Gefühle Gesellschaft Zwischendurch

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