Generation Why?

Wir sind die #GenY, doch was heißt das eigentlich? Ein Erklärungsversuch.

Dieser Artikel ist erschienen in Werk6, dem Magazin des 6. Semesters der Akademie Mode & Design Berlin.

ICH, WIR, IHR

Viel zu lange habe ich mich davor gedrückt, diesen Text zu schreiben. Er soll von der Generation Y handeln, zu der wir, alle zwischen 1980 und 1999 Geborenen, gehören. Ich bin ein bisschen ratlos, wie ich anfangen soll. Zu viel gibt es über uns zu sagen, zu viel wurde schon gesagt. Also prokrastiniere ich, sehr erfolgreich. Gestern Abend: Binge Watching. Fünf Folgen meiner Lieblingsserie gestreamt. Easy.

Auch heute bin ich schwer damit beschäftigt, die weiße Pages-Seite, die mir mein Laptop geduldig offen hält, zu ignorieren. Immer wieder wandert der Blick zum iPhone. Instagramfeed checken, Snapchatstories anschauen. Mal schnell auf WhatsApp fragen, wie es meinen Freunden geht, ein bisschen auf Tinder swipen.

Ich habe gefühlt hundert Artikel gelesen, in denen Autoren der Babyboom- oder X-Generation hämisch über die Ypsiloner herziehen. Uns als austauschbare Zombies beschreiben, als mutlose „Generation Biedermeier“, als faul und unmotiviert. Habe TED Talks von ein paar erfolgreichen Millenials hinterhergeschoben, die mit Anfang 20 schon Start-up-Millionäre sind. Bin irgendwie auf id.com gelandet, habe ein Video über die unnötigsten Beauty-Hypes geschaut (Glitzerbärte, #kyliejennerlipchallenge), bin auf Youtube gekommen. Katzenbabys.

Klingt nach sinnloser Zeitverschwendung, macht mich aber zum Paradebeispiel unserer Generation. Prokrastination? Darüber lässt sich streiten, vor allem aber Youtube, Snapchat und Tinder. Social Media, die Heimat der Dauer-Onliner, aus deren Realität man das Virtuelle nicht mehr wegdenken kann. Wir sind in einer analogen Welt auf- und zu Digital Natives herangewachsen. Wir haben unseren Eltern die Smartphones erklärt, später zeigen wir unseren Kindern verstaubte Analog-Fotografien, werden auf dem Dachboden unseren alten Discman oder ein ausrangiertes Faxgerät aufheben, Artefakte eines vergangenen Jahrhunderts.

Generation Y, so nennen sie uns, die Generationen vor uns, die uns versuchen zu verstehen und zu definieren. Ich für meinen Teil will und kann „uns“ gar nicht definieren. Wie auch: Wie soll man schon 19 Jahrgänge über einen Kamm scheren? Verallgemeinern in einer Zeit, in der das Individuum die Individualität als höchstes Gut schätzt?

FREIHEIT

Neue Denkweisen und das Gefühl, die Welt verändern zu können, wurden uns von unseren Eltern in die Wiege gelegt. Mit dem World Wide Web haben wir ein Tool in die Hand bekommen, das uns ortsunabhängig und schnell macht. Wir sind flexibel und frei. Wir wurden zu digitalen Nomaden, großflächig vernetzt, auf der ganzen Welt zu Hause. Zu Weltbürgern. Wir reisen viel und gerne, ziehen in Großstädte, schätzen das urbane Leben und den kulturellen Austausch. Kappen unsere Wurzeln, um zu wachsen. Die Heimat wird verlassen, um sie anderorts zu finden. Wir lieben unsere Freiheit. Der Traum vom Eigenheim mit Garten, Hund, Kindern und dem passenden Partner gehört unseren Eltern. Wir wollen „Ein Haus am Mehr“ wie Samy Deluxe passend rappt, „Mehr Zeit, Mehr Glück, Mehr Liebe, Mehr Fans, Mehr Fame, Mehr Ziele.“ Auf Social Media teilen wir unsere spektakulärsten Urlaubsbilder, unseren Alltag, unsere wichtigsten Momente. Wir wollen sie bewahren und möglichst vielen Leuten zeigen, relevant sein. Markieren, wo wir gerade stehen, bevor sich das Lebenskarussell wieder in rasanter Geschwindigkeit weiterdreht. Mithalten ist die Prämisse.

ZEIT  

Wir sind (noch) jung. Die Welt liegt uns zu Füßen, sie dreht sich schnell, wir drehen uns mit. Wenn wir etwas nicht wissen, googeln wir es. Klamotten, Essen, Gebrauchsgegenstände: Ein paar Klicks genügen und das Wunschobjekt landet per Expressversand vor der Haustür. Last-Minute Flüge im Internet buchen, am nächsten Tag am anderen Ende der Welt Sonne tanken. Genervt sein, wenn wir nicht innerhalb von 24 Stunden eine Antwort auf unsere Mails bekommen.

Wir haben es verlernt, geduldig zu sein. Gleichzeitig scheint unser Umfeld verlernt zu haben, Geduld mit uns zu haben. Du bist Mitte 20, hast aber noch kein Bachelorabschluss, Erasmus-Jahr, diverse Pflichtpraktika, FSJ in Südostasien und einen Trip um die Welt gemacht? Du steckst noch nicht im Masterstudium und hast vielleicht sogar eine Lücke von einigen Monaten im Lebenslauf, in denen du dich weder fortgebildet noch gearbeitet hast? Zeit ist zur wichtigsten Maßeinheit für den persönlichen Erfolg geworden. Der Druck, möglichst schnell viel zu erreichen, hängt wie ein Vermächtnis unserer Vorgängergenerationen über uns. „Forever Young, Wild and Free“ steht höchstens noch als jugendliche Tattoo-Sünde auf unseren Rippenbögen, den dazugehörigen Mindset können wir uns zeitlich nicht mehr leisten.

Deswegen ist es für uns erschreckend, wenn etwas Zeit braucht. Es macht nervös, es gibt uns das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Wenn wir plötzlich langfristig denken müssen, Beziehungen aufbauen oder uns im Job hocharbeiten müssen, sehen wir uns mit etwas konfrontiert, das im Alltag unbekannt geworden ist. Vom Tellerwäscher zum Millionär? Es fehlt nicht der Ehrgeiz, wir sind weder faul noch inkompetent – es fehlt die Geduld. Wir wollen den langwierigen Part überspringen, direkt ans Ziel kommen. Wir gründen lieber Start-ups als jahrelang dieselbe Position in einer Firma zu haben. Wir wollen erfolgreich sein und unsere Freizeit trotzdem nicht vollkommen für unsere Karriere verschwenden.

LIEBE

Wenn Freiheit und Zeit die wichtigsten Dinge in unserem Leben sind, bleibt dann überhaupt noch Platz für Beziehungen, Partnerschaften und Liebe? Der Mythos der Generation #Beziehungsunfähig rankt sich durch sämtliche Medien und ist eine einfache Entschuldigung für frustrierte Millenials in Singlestädten wie Berlin und Hamburg. Alles Bullshit, glaubt man Studien und Professoren anstelle deprimierender Online-Artikel auf Zett, Bento und Neon, in denen einsame Ypsilon-Autoren über sich selbst klagen. „Beziehungsunfähig werden Menschen sicher nicht“, schätzt uns Franz Neyer, der das Institut für Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena leitet, ein. „Jeder sucht und braucht jemanden, der ein emotionaler Anker ist, der einen begleitet, beschützt, jemanden, der sich mit einem freut und leidet.“ Und das bestätigt sich, wenn ich mich in meinem Freundeskreis umschaue: Wiege ich Pärchen vs. Singlefreunde ab, gleicht sich das nämlich ziemlich gut aus.

Festzuhalten ist nur, dass die Zahl der Eheschließungen seit zehn Jahren sinkt, und die Zahl der Ehen, die nach der Silberhochzeit (!) geschieden werden, steigt. Heißt im Klartext: Wir sind die Generation eines anderen Unworts, des #Scheidungskindes. Teilweise sind wir sogar Scheidungsenkelkinder oder Töchter und Söhne mehrfach geschiedener Eltern, in Patchworkfamilien aufgewachsen. Müsste ich mir eine Sitzordnung für meine eigene Hochzeit überlegen, ich wäre hoffnungslos überfordert. Könnte ich den neuen Freund der Exfrau meines Vaters an einen Tisch mit den Eltern meines Stiefvaters setzen? Kennt mein Halbbruder mütterlicherseits überhaupt schon meine Cousinen väterlicherseits? Müsste ich einen Stammbaum zeichnen, gliche das Ergebnis einer Baumschule. Kein Wunder, dass traditionelle Familienmodelle und veraltete Geschlechterrollen längst out sind, Oldschool-Liebesschwüren messen wir auch nicht mehr viel bei. Die Sehnsucht, „The One“ zu finden, ist aber immer noch da und wenn wir lieben, dann richtig. Wir lassen uns nur mehr Zeit, bevor wir uns endgültig festlegen. Als „Mingle“ vertreiben wir uns auf dem Weg dahin die Zeit mit Halbbeziehungen, unverbindlichen Partnerschaften, die uns Raum zur Selbstverwirklichung lassen. So weiß ich ganz genau, wen ich anrufen kann, wenn ich Bock auf Netflix & Chill habe oder mal einen richtig kitschigen Händchen-Halten-Tag brauche, muss mich aber bei niemandem rechtfertigen, dass ich spontan für ein Praktikum ans andere Ende der Republik ziehe. Unsere „Wir-haben-sowas-am-Laufen“-Affären sind genauso paradox, wie die Ansprüche, die wir ans Leben haben: In ihnen steht das Individuum vor der Partnerschaft, sie geben uns Raum zur Selbstverwirklichung und gleichzeitig Sicherheit, weil immer alleine einschlafen auf Dauer auch nicht glücklich macht.

ANPASSUNG

Stabilität und Sicherheit wünschen wir uns nämlich sehr, wie immer mehr Studien beweisen. Wir schweben in einem ständigen Widerspruch zwischen Freiheitsliebe und Sicherheitsbegehren und können uns nicht entscheiden, ob wir lieber Neo-Spießer sind oder Konservatismus doch doof finden. Im Alltag sind wir so mit uns selbst und all unseren Möglichkeiten beschäftigt, dass wir gegen nichts mehr aufbegehren oder rebellieren. Jugendkulturen sterben aus, obwohl wir, wenn wir wollten, jeden Tag jemand anderen darstellen könnten, Normcore aber einfacher finden.

Nicht umsonst ist der Hipster, die letzte große Jugendkultur der vergangenen Jahre, Mainstream geworden. Der dazugehörige Duden-Eintrag ist in etwa so präzise wie eine Scheibe labbriges Brot: “Jemand, der über alles, was modern ist, Bescheid weiß, in alles Moderne eingeweiht ist“. Das klingt neugierig – aber auch angepasst, weichgespült und kompromissbereit und heftig nach Konsum.  Der rebellische, provokante Charakter vorheriger Jugendkulturen fehlt völlig und mit dem klischeehaftesten Bild des Hipster will  sich eigentlich niemand mehr identifizieren, es taugt höchstens noch zum Spott . Trotzdem erwischen wir uns dabei, wie die neue Bio-Matcha-Mate (#leidergeil) Instagram-Inhalt wird und nicht die politische Lage in Europa. Wir twittern höchstens mal ein politisches Statement, zur Demo möchten wir aber lieber nicht gehen. Wir bauen uns eine heile virtuelle Welt, um uns von der unsicheren Realität abzulenken, versuchen nicht, sie zu verändern. Wir könnten alles sein, wenn wir uns nur mal auf etwas festlegen würden. Eine ganze Generation, geeint in der Suche nach der eigenen Wichtigkeit und dem tieferen Lebenssinn.  Alte Strukturen aufgebrochen, neue Strukturen noch nicht erprobt. Zerrissen in der Gegensätzlichkeit, die uns ausmacht. #Generationwhy: So mit dem Hinterfragen beschäftigt, dass wir vergessen, zu handeln. Angst vor der Zukunft und trotzdem Bock auf Neues.

ANGST

Ich war sieben, als ich am 11. September 2001 vor dem Fernseher saß und meine Mama mir erklärte, was ein Terrorist ist. Ich war 13, als 2007 die Weltwirtschaftskrise ihren Lauf nahm und mein Papa beim Zeitungslesen nichts mehr sagte. Ich war 17, als ich im Internet die Video-Aufnahmen der Explosionen im japanischen Kernkraftwerk Fukushima sah und anschließend mit meinen Schulfreunden Spenden sammeln ging. Gewalt, wirtschaftliche Krisen, Umweltkatastrophen. Bilder, die um die Welt gingen. Bilder, die uns, Kinder des digitalen Zeitalters, bis heute begleiten.

Ich bin 21. Terrorismus und Krieg beherrscht die Nachrichten. Und beides ist näher, als in meinem ganzen bisherigen Leben. Ungewissheit ist ein Dauerzustand geworden. Meine Generation sieht einer Zukunft entgegen, die weder stabil noch friedlich ist. Wir müssen eine weltweite Flüchtlingskrise bewältigen. Neuankömmlinge in die Gesellschaft integrieren, in der wir unseren eigenen Platz noch gar nicht gefunden haben. Wir müssen gegen einen überraschenden Rechtsruck in Europa kämpfen, mit einem bröckelnden Bildungssystem und Umbrüchen in der Arbeitswelt zurechtkommen. Wir sehen uns mit immer mehr Menschen im Rentenalter konfrontiert, die versorgt werden wollen. Mit einer weiter auseinander klaffenden Schere zwischen Arm und Reich. Mit internationalen Konflikten, großflächig angelegtem Terrorismus. Mit einem zerstörten Ecosystem, Erderwärmung und knapp werdenden Ressourcen. Wir sehen unsere Freiheit schwinden und uns eingeengt zwischen Problemen, die größer scheinen, als wir. Der Struggle ist real. Es macht mich wütend, wenn von uns behauptet wird, unsere Generation schwebe sorgenfrei auf kleinen rosa Wölkchen durchs Leben, nur mit den eigenen Problemen beschäftigt.  Oder wenn wir als verweichlicht dargestellt und unsere Zukunftsängste nicht ernst genommen werden. Unsere  Aufgabe wird es sein, sich davon nicht lähmen zu lassen, sondern daran zu wachsen und dagegen anzukämpfen.

ZUKUNFT

#Genderequality und Feminismusdebatte, gleichgeschlechtliche Liebe, kultureller Austausch: Themen, denen wir Y-Kinder viel offener entgegentreten, als die Generationen vor uns. Wir haben gesellschaftlich schon viel geschafft und können noch so viel mehr. Aufwachen, vielleicht mal wieder rebellieren. Den Blick vom individuellen Wohlergehen abwenden. Die kollektive und die eigene Freiheit gleichermaßen verteidigen. Daraus Sicherheit und Stabilität schöpfen und gesellschaftliche Distanzen überwinden. Beziehungen zulassen. Im Hier und Jetzt leben, spontan sein und gleichzeitig zukunftsorientiert. Das könnten wir. Denn was wie blinde Naivität und jugendlicher Optimismus klingt, ist eine Stärke, die wir anderen voraushaben: Offenheit Neuem gegenüber, Hinterfragen des Bisherigen, blitzschnelle Anpassung und Optimierung. Wer in unseren gegensätzlichen Zeiten aufgewachsen ist, ist Meister im Umgang mit unerprobten Situationen. Wir sind die, die im 20. Jahrhundert geboren, aber im 21. Jahrhundert erwachsen wurden und uns damit von allen anderen Generationen abgrenzen. Wir schlagen die Brücke in ein neues Zeitalter. Das Jetzt gehört uns, wir müssen es uns nur zu eigen machen. Das ist die Generation Y.

Dieser Artikel ist im Werk6-Magazin erschienen.

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