Supporters recording at concert - Candid image of crowd at rock concert - Several people taking photos at an event

Rockkonzert mit Rentnerfeeling: Über die Tanzfaulheit junger Berliner

Margarethe schämt sich für ihre Altersgenossen. Statt ekstatisch rumzuhopsen, vergreist Berlins Jugend motorisch zunehmend auf der Tanzfläche.

Berlin vor einigen Tagen: In der Manege des Tempodroms drängeln sich überwiegend junge, weibliche Konzertbesucher. Viele von ihnen tragen bequeme Markenturnschuhe und haben sich Stoffturnbeutel auf den Rücken geschnallt. Wenn nicht zum Turnen, sind sie doch optimal ausgerüstet für das ekstatische Rumgehopse, das in der ausverkauften Halle durchaus erwartbar wäre. Tatsächlich bleibt die sportliche Kleidung nur täuschendes Kostüm.

Margarethe Neubauer hält Protestwählen für keine gute Alternative. Foto: Gerd Metzner.
Foto: Gerd Metzner.

Das Konzert beginnt und bald fließt heißer Band-Schweiß von der Bühne, gegen eine Infektion mit der Bewegungsfreude der Musiker ist das Publikum jedoch immun. Stattdessen hebt die Masse kollektiv ihre Arme. Aber anstatt wild zu klatschen, die Fäuste euphorisch in die Lüfte zu recken und sich die Haare zu raufen, werden bloß die Smartphones über den Köpfen positioniert. Verwackelte Bilder braucht niemand zu fürchten – es wackelt ja auch keiner. Viel eher konkurriert die Dynamik des Konzerts mit der Pullerpause einer Kaffeefahrt: Dicht gedrängt stehen die Leute nebeneinander und verlagern ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Als ein gefühlvoller Song erklingt, kommt dann doch überraschend Leben in die Herde der resoluten Tanzmuffel. Langsam, langsam entsteht aus den steifen Schultern in den Rängen eine schüchterne Bewegung – ein Schunkeln. Nun schäme ich mich wirklich für meine Altersgenossen.

Dass wir uns für den flächendeckend beliebten Vintage-Stil modisch von Kleidungsstücken aus Großmutters Zeiten inspirieren lassen, ist kein neues Phänomen. Ein Revival der Plattenspieler, gärtnern auf dem Balkon, Vorkriegsgedächtnisfrisuren, stricken – das Rentnerdasein zu antizipieren, ist bei den jungen Menschen von heute offensichtlich en vogue. Aber wieso erlebe und erleide ich in letzter Zeit auch die zunehmende motorische Vergreisung der Jugend auf den kleinen und großen Tanzflächen dieser Stadt? Wenn meine Oma zu Roger Whittaker über das Parkett fegt, fliegen definitiv mehr Funken als in manchem Szeneclub.

Noch habe ich die Ursache meines verstörenden Erlebnisses nicht ergründen können. Schieben wir es einfach auf den Montagabend. Schwere Mateflaschen im Rucksack, den Wetterumschwung. Und hoffen wir, dass keine chronische Krankheit daraus wird.

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Kategorien Klartext Weggehen Zwischendurch

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.