Vierzig Tage lang fastet unsere Redakteurin Margarethe mit Jugendlichen aus ganz Deutschland für ein besseres Klima
Die Spitze des Eisbergsalates
Meine Tage als temporäre Veganerin und Plastik-Asketin sind gezählt. Am Wochenhorizont schimmert bereits der Ostersonntag mit Naschwerk in potentiell letalen Dosen. In meinem Geiste schmelzen das Frischkäse-Topping des obligatorischen Karottenkuchens und mein sehnsüchtiges Selbst wie arktische Gletscher dahin. Der brav schnurrende Schweinehund geht in Lauerposition. Sechs Wochen lang habe ich verzichtet, improvisiert, recherchiert, diskutiert. Was aber bleibt nach all den Avocado-Orgien, Kernseifenkäufen und intensiven Stöberstunden auf informativen Youtube-Kanälen?
Nein, ich werde keine militante Öko-Tante. Obwohl ich durchaus Züge dieses gern belächelten Klischees an mir feststellen durfte. Fleisch konsumierende Menschen um jeden Preis missionieren zu wollen, habe ich mir zum Glück schon abgewöhnt, als sogar mein Vegetarismus noch in seinen kunstledernen Kinderschuhen steckte. Allerdings kehre ich doch ab und zu die kleine Klimaschutz-Diktatorin nach außen. Zumindest in Redaktion und WG bin ich mittlerweile der penetrante Geist, der permanent auf den Toiletten oder im Flur das Licht löscht. Bringe meinen eigenen losen Tee mit an den Arbeitsplatz. Und mein Teesieb. Drehe in der Wohnung andauernd an den Heizungen, wenn irgendwo ein Fenster aufgeht.
Auch wenn ich meine Lasagnen vielleicht bald wieder großzügig mit Reibekäse bestreue, anstatt mit einem würzigen Mandelmusmatsch herumzugeizen, werde ich meine wachgekitzelte Klimasensibilität sicher nicht in einem Vollmilchbad ertränken. Butter und Eier aus dem Supermarkt möchte ich auch längerfristig weitestgehend aus meinem Speiseplan streichen. Obwohl ein Ei vom Nachbarn gern die südamerikanische Exportbanane ersetzen darf. Es geht hier für mich nicht um ein Prinzip, das wie eine Schablone kompromisslos auf jedwede Situation gepresst werden muss. Viel eher geht es mir um ein gesteigertes Bewusstsein für vermeidbare Klimakiller. Klar werde ich wieder Zahnpasta kaufen. Aber vielleicht mal die Bio-Variante? Und kleinteilig abgepackte Süßigkeiten muss ich auch nicht verknuspern, wenn ich einfach selber backen kann. Warum nicht auch mal Foodsaving betreiben?
Gefreut habe ich mich über zahlreiche anregende Gespräche mit Interessierten, Austausch mit besser Informierten, echte Neugier und vor allem: viel, viel, viel Verständnis von allen Seiten, insbesondere dem engen Familien- und Freundeskreis. Grund zur Enttäuschung bot lediglich das engstirnige Verhalten in meiner erweiterten Verwandtschaft. Es ist wirklich erstaunlich, dass erwachsene Menschen eine derartige Genugtuung in grundloser Stichelei und platter Provokation finden. Da frage ich mich doch, was sie eigentlich mehr pikst – die vermeintliche Anstößigkeit meiner Lebensweise oder die unbequeme Reflexion der ihrigen?
Für mich steht nach meinem Experiment fest, dass ich einen kostbaren Klimawissensschatz anhäufen konnte, von dessen Erträgen ich hoffentlich in meinem weiteren Leben zehren werde. Daher sehe ich die vergangenen Wochen nicht als erfolgreich abgeschlossene „Challenge“, hinter die ich nun stolz ein „Erledigt“-Häkchen setzen kann, sondern viel mehr als Spitze des Eisberg(salat)s, den ich weiterhin motiviert erklimmen werde.
Margarethe Neubauer, 21 Jahre