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Silvester: zwischen Ekstase und Intimität

Im Club, auf der Straße, in der S-Bahn: Das neue Jahr kann man überall begrüßen – und mit wem man will. Eine Kurzgeschichte.

Der Lichtkegel wechselt von Blau-Schwarz über Rot zu einem undefinierbaren Silber. Sie ist lediglich ein Strich in der rhythmisch tanzenden Menge. Ab und zu reflektiert ihr glitzernder Lidschatten das Licht. Ihre Haare fasst sie zu einem Dutt zusammen, als sie sich aus der Menge löst und erschöpft auf ein Sofa fallen lässt. Ihr Herz schlägt äquivalent zu dem wummernden Bass. Mit schweifendem Blick sucht sie nach ihren Freunden, als ein Typ neben ihr in die Kissen sinkt.

Zuerst bemerkt sie ihn nicht, doch dann tippt er sie an und versucht schreiend die Musik zu übertönen: „Hast du Hunger?“ Sie nickt, deutet aber vorwurfsvoll auf die Armbanduhr an ihrem zierlichen Handgelenk. Er gibt ihr zu erkennen, dass er nicht versteht, was sie meint, und deutet in Richtung des Ausgangs.

Zusammen bahnen sie sich einen Weg durch die Menschenmenge, bis sie an der Garderobe ihre Jacken bekommen und nach draußen können. Es ist angenehm kühl, trotzdem knöpft sie ihren Wintermantel komplett zu. Er fragt noch mal: „Also, gehen wir was essen?“

Sie läuft langsam die Straße hinunter, wendet aber den Blick nicht von ihm ab: „Klar, aber es ist schon 23.09 Uhr.“ Die Ringbahn S42 fährt in den Bahnhof ein. Bis auf einen Mann, der in einer fremden Sprache telefoniert, ist die Bahn leer. Er greift in die Papiertüte und reicht ihr einen Burger.Sie schaut aus dem Fenster, belächelt die Menschengruppen auf den Straßen, die Böller werfen und ab und zu in den Himmel deuten. Den Blick nicht abwendend beißt sie in ihren Burger, der nach zu viel BBQ-Soße schmeckt.

Silvester in Berlin kann überall schön sein. Es kommt nicht so sehr darauf an, wo man ist, sondern wer bei einem ist. Foto: DPA
Silvester in Berlin kann überall schön sein. Es kommt nicht so sehr darauf an, wo man ist, sondern wer bei einem ist. Foto: dpa

Das schwache Neonlicht im Waggon bildet einen Kontrast zur schwarzen Nacht, sodass sie sich im Fensterglas spiegeln. „Es ist 23.56 Uhr – wir werden Mitternacht verpassen.“ Er lacht: „Kannst du mir bitte ganz genau erklären, wie man Mitternacht verpassen kann?“

Sie wollte um 0 Uhr bei ihren Freundinnen tanzend im Club sein und in das neue Jahr feiern, er hatte sie schon verstanden. „Du feierst doch nur die Illusion eines Neubeginns“, hakt er provokant nach und hofft auf einen Konter ihrerseits. Doch sie starrt noch immer die schwarze Scheibe an, die Häuser und Straßen ziehen an ihr vorbei und Raketen explodieren in allen Farben.

Sie lächelt, denn vor sich sieht sie das neue Jahr mit all den Eventualitäten, als eine leere Fläche einer bereits bemalten Leinwand. Dann bemerkt sie sein Spiegelbild in dem Fenster, wie er alberne Grimassen zieht. Sie muss grinsen und beißt wieder in ihren Burger.

0.42 Uhr. Sie reden über Banalitäten, noch immer in der Ringbahn fahrend.

Alma ist neuestes Mitglied der Jugendredaktion. Sie ist Preisträgerin des Treffens der jungen Autoren 2015, bei welchem jedes Jahr Deutschlands beste Jung-Autoren gekürt werden.

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Ich bin einfach nur Alma, 19, Abiturientin und immer auf der Suche nach etwas Neuem. 
In der Jugendredaktion bin ich seit Dezember 2015, weil es für mich am spannendsten ist, die Welt aus möglich vielen Perspektiven zu betrachten und dann in Worte zu fassen.