Die ganze Welt auf einer Couch

 Mit Hilfe des Internets finden junge Leute überall einen kostenlosen Schlafplatz

von Emilia von Senger, 21 Jahre

Eigentlich sollte Lilian aus Moabit bei einem Freund von einem Freund schlafen. Angekommen in Montevideo, Uruguay, wählt die Weltreisende die Handynummer des Bekannten. Tut, tuuut – niemand nimmt ab. Keine Stimme, kein Bett. Was nun? Hotels sind entweder ausgebucht oder zu teuer. Bleibt das Internet: In Übernachtungsnetzwerken wie Couchsurfing.com oder dem Hospitality Club können junge Leute aus der ganzen Welt ihre Couch zum Übernachten anbieten und im Gegenzug auf Reisen bei anderen angemeldeten Nutzern schlafen.

Erste Erfahrungen mit dieser Art des Reisens hatte Lilian schon vor ein paar Monaten in Indien gesammelt. Ermutigend waren die nicht, denn die Inder, bei denen sie schlief, nutzten das Netzwerk eher als Flirtbörse, und Inderinnen sind auf dem Portal kaum angemeldet. Doch die Erinnerung an aufdringliche Typen kann Lilian nicht davon abhalten, es in Uruguay erneut zu versuchen. Im Internetcafé sucht sie sich auf Couchsurfing.com drei potenzielle Schlafstätten aus: Wichtig sind Profiltext, Foto und vor allem die Kommentare. Jemand, der keine oder wenige Kommentare hat, aber schon seit längerem angemeldet ist, scheint eher suspekt. Gleich die erste Nummer ist einvoller Erfolg. Eine freundliche Mädchenstimme erklingt am Telefon: „Klar kannst du bei uns schlafen,komm einfach vorbei.“ Die Kommunikation auf Englisch klappt einwandfrei – Verständigungsschwierigkeiten treten ohnehin kaum auf,denn auf dem Portal gibt jeder Nutzer an, welche Sprachen er spricht und versteht. Ein paar Stunden später bewohnt Lilian ein eigenes Zimmer in einer netten Mädchen-WG. Das Haus ist voller junger Studenten, gefeiert wird ein Stockwerk höher, und Stadtführungen zu den Lieblingsplätzender Einheimischen bestimmen die nächsten Tage. Jackpot!

Die Uruguayanerinnen sind selbst einmal durch Europa gereist und haben dort ausschließlich auf Sofas genächtigt – bei Franzosen, Polen und Deutschen. Die gesammelten guten Erfahrungen möchten sie nun zurückgeben. Jeder Netzwerk-User, der anruft, wird mit offenen Armen empfangen. Lilian fühlt sich zu Hause. Ein paar Wochen später ist die Weltenbummlerin in Brasilien angekommen. In den Favelas, den Großstadtslums von Rio de Janeiro, reiht sich Hütte um Hütte an denHang, brauner Matsch ziert die Straßen. Die Couch, für die sich Lilian hier entschieden hat, gehört Federico. Der Brasilianer bezeichnet sich als Schamane und isst Pflanzen, um sich in Hypnosen zu verlieren. Seine Wohnung ist chaotisch und dreckig. Lilians Matratze wird von den vielen Katzen als Toilette genutzt. Weg kann sie nicht mehr, denn im Dunkeln sind Favelas gefährlich. Nacheiner langen Nacht flüchtet sie in die Stadt, ins Internetcafé: Neue Nummer, neue Couch, neues Glück.

Die Gastfreundschafts-Netzwerke Hospitality Club und Couchsurfing.com sind kostenlos und haben zusammen fast eine Million Nutzer jedes Alters weltweit.
User stellen anderen Nutzern ihre Couch zur Übernachtung zur Verfügung. Dafür können sie auf das Netzwerk zurückgreifen, wenn sie selbst auf Reisen
sind. Die Idee der Netzwerke ist, dass Reisende die Welt und ihre Menschen intensiv kennen lernen.

www.couchsurfing.com,
www.hospitalityclub.org

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