Menschen mit Behinderung sind hinsichtlich der Klimakrise Experten, von deren Erfahrungen auch Menschen ohne Behinderung profitieren können. Warum das so ist, erklärt uns Dr. Hilkje Hänel während der Klimawoche an der FU Berlin.
Von Selly Häusler, 28 Jahre
Internationale Klimapolitik, verschiedene Wege nachhaltiger zu leben und die starke Betroffenheit von Menschen im globalen Süden – die meisten Themen der Klimawoche an der Freien Universität Berlin sind längst in der öffentlichen Debatte angelangt. Die „Fridays for Future“-Gruppe der FU hat sich dafür eingesetzt, dass Dozenten und Professoren ihre Lehrveranstaltungen eine Woche lang an der globalen Erwärmung und Klimakrise ausrichten. Die Seminare waren in dieser Woche außerdem für alle offen.
Probleme für Menschen mit Behinderung bisher kaum diskutiert
Unter den angebotenen Veranstaltungen fällt dann aber doch ein Thema auf, das im Zusammenhang mit Klimawandel selten diskutiert wird: besondere Probleme, die Menschen mit Behinderung aufgrund des Klimawandels bekommen könnten. Das Ganze findet im Fachbereich der Philosophie statt und heißt „Philosophy of Disability and Climate Change“. Medien und Politik haben noch keinen Diskurs dazu angestoßen und kaum jemand hat das Thema auf dem Schirm.
Genau das ist eines der Probleme, das Dr. Hilkje Hänel als erstes anspricht: Entscheidungsträger in öffentlichen Institutionen haben selbst selten eine Einschränkung und deshalb behinderte Menschen nicht immer im Blick. Die Planer und Politiker denken meistens weder daran, dass diese etwas beitragen könnten, noch dass sie in besonderer Weise betroffen sind.
Behinderte Menschen sind es gewohnt, nach Gefahren Ausschau zu halten, sie wissen, wie es ist, auf bestimmte Dinge angewiesen zu sein und denken gewohnheitsmäßig drei Schritte voraus. Deshalb sind sie Experten
FU-Dozentin Dr. Hilkje Hänel
Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass Einschränkungen zu einer besonderen Betroffenheit hinsichtlich der Erderwärmung führen: Einige Menschen sind auf Stromversorgung angewiesen oder können ihre Körpertemperatur nicht gut regulieren. Das Beispiel, an dem wir uns fast die gesamte Lehrstunde orientieren, ist die Evakuierung im Fall von Naturkatastrophen.
Die Meinungen der Anwesenden dazu sind zum Beispiel: Es gibt ein Problem auf struktureller Ebene. In bestimmten Positionen ist es moralisch verwerflich, behinderte Menschen zu vergessen. Rettungsmöglichkeiten, die für behinderte Menschen funktionieren, funktionieren nicht schlechter für andere. Deshalb ist es eher eine Frage des Ressourcenverbrauchs.
Forderung nach eigenem Gremium
Schließlich kommen die Diskutierenden zu dem Schluss, dass eine Einzelperson nicht an alles denken kann. Denn es gibt verschiedenste Einschränkungen und mögliche Lösungen. Deshalb sollte ein Gremium aus Betroffenen allgemein verbindliche Richtlinien entwerfen.
Wir müssen weg von der Annahme, dass behinderte Menschen Probleme bereiten und hin zu der Annahme, dass sie Experten sind – wenn es darum geht, Notfallpläne gerechter zu gestalten und auch allgemein. Hinsichtlich der Klimakrise sind sie möglicherweise erfahrener: „Behinderte Menschen sind es gewohnt, nach Gefahren Ausschau zu halten, sie wissen, wie es ist, auf bestimmte Dinge angewiesen zu sein und denken gewohnheitsmäßig drei Schritte voraus. Deshalb sind sie Experten, von deren Erfahrungen auch Menschen ohne Behinderung profitieren“, ist das Schlusswort der Dozentin Hänel.
