Prost: Fröhliche Teilnehmerin beim MyFest in Berlin-Kreuzberg
Prost: Fröhliche Teilnehmerin beim MyFest in Berlin-Kreuzberg

Als der 1. Mai noch kein Feier-Tag war

Das Thema Arbeit wird am 1. Mai wieder kaum eine Rolle spielen. Dabei ging es mal genau darum: Arbeit.

Arbeiten muss niemand, bezahlt werden die fest angestellten Menschen trotzdem. Der 1. Mai ist der Tag der Arbeit – ein offizieller Feiertag. Dessen Tradition geht weit zurück, bis ins Chicago des Jahres 1886. Die Industrialisierung beherrschte die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, viele Menschen emigrierten aus Europa in die USA, um Arbeit zu finden. Die dort ansässigen Fabrikbesitzer beuteten die eingewanderten Arbeiter jedoch gnadenlos aus. Daraus resultierten Arbeiterzusammenschlüsse und erste Streiks. In Chicago riefen die Arbeiter eine Massendemonstration am 1. Mai 1886 aus – mit der Forderung nach einem 8-Stunden-Tag.

Vier Jahre später ernannte die SPD den 1. Mai zum offiziellen Feiertag der Arbeiter. Zum gesetzlichen und bezahlten Feiertag wurde er 1919 in der Weimarer Republik. In der Zeit des NS-Regimes wurde der 1. Mai jedoch als „Tag der nationalen Arbeit“ instrumentalisiert. Auch im geteilten Deutschland wurde der 1. Mai gefeiert. In West-Berlin gab es 1960 die größte Massenkundgebungen im Zuge des Kalten Krieges. In Ost-Berlin wurde gleichzeitig der „Internationale Tag der Werkstätigen für Frieden und Sozialismus“ begangen. Dieser Feiertag war in der DDR eine staatlich organisierte Pflichtveranstaltung für Betriebe und Schulen – wohingegen die Menschen in West-Deutschland aus freien Stücken auf die Straße gingen. Rückblickend sieht man, dass am 1. Mai immer die Arbeit im Mittelpunkt stand.

Geht es den Arbeitern etwa zu gut?

So viel spürt man davon heute aber nicht mehr. In Berlin sieht man die Menschen ausgelassen feiern. Zum Beispiel auf verschiedenen Open-Air-Konzerten wie dem „MyFest“ am Mariannenplatz oder dem „MaiGörli“ im Görlitzer Park. Diese Veranstaltungen haben jedoch wenig bis keinen politischen Hintergrund. Sind die Arbeitsbedingungen etwa so gut, dass man für nichts mehr demonstrieren muss? Reichen der geregelte 8-Stunden-Tag und der Mindestlohn aus? Gerade jetzt sind doch Themen wie Sexismus oder Diskriminierung sehr relevant – und auf der Arbeit zum Beispiel in Form des Gender Pay Gap sichtbar!

Am 1. Mai ist davon kaum zu hören. Es scheint, als würde der Kampf für bessere Verhältnisse nicht auf der Straße ausgetragen, sondern vielmehr im eigenen Alltag, bei der Jobwahl oder im Vorstellungsgespräch. Die Arbeitsbedingungen zu verbessern, macht Arbeit und ist nicht mal eben getan. Mit dem zunehmenden Einsatz von Maschinen statt Menschen und dem demografischen Wandel in Deutschland wird noch einiges auf uns zukommen, das unsere heutige Arbeitsmoral infrage stellt. Das bedingungslose Grundeinkommen könnte nach 8-Stunden-Tag und Mindestlohn der nächste Meilenstein sein.

So bereiten sich vier Kreuzberger auf den 1. Mai vor:

Die Polizistin:

Dieses Jahr bin ich das sechste Mal im Einsatz. Ich kann mich noch gut an meinen ersten 1. Mai erinnern: Kurz nach Beginn der 18-Uhr-Demo bekam ich eine gefüllte Glasflasche gegen den Helm. Seitdem verbinde ich diesen Tag mit Gewalt. Natürlich ist es nicht mehr so gewalttätig wie 1987, dennoch werden jedes Jahr Flaschen geworfen, und das tut weh – selbst mit Helm. Ich bin gespannt, wie der Tag dieses Jahr ablaufen wird. An den Ereignissen des G20-Gipfels in Hamburg hat man gesehen, wozu die Szene in der Lage ist. Daher müssen wir Polizisten uns darüber im Klaren sein, was auf uns zukommen kann. Aber Angst habe ich trotzdem nicht. – Rahel, 27

 

Der Anwohner:

Ich finde den 1. Mai in Kreuzberg immer ziemlich cool. Nachdem wir letztes Jahr fast den ganzen Tag in unserer WG am Görlitzer Bahnhof gefeiert haben, ist dieses Jahr der Plan, ein bisschen mehr unterwegs zu sein und vielleicht ein paar Open Airs auszuchecken. Ich hoffe nur, dass sie dieses Jahr mal ein paar mehr Toiletten aufstellen. Letztes Jahr wollte ein Haufen Leute zu uns zum Pinkeln in die Wohnung und weil wir die Massen nicht zu uns in die WG lassen wollten, haben sie das stattdessen ungefragt in unserem Hausflur erledigt … – Tobias, 22

 

Die Kioskinhaberin:

Zuerst einmal müssen wirklich viele Getränke bestellt werden, denn am 1. Mai fließt der Alkohol in Strömen. Außerdem muss ich wachsame Augen haben, denn in den Massen von Menschen steckt sich der Ein oder Andere schon mal ein Snickers einfach so ein. Sonst ist es hier aber immer ziemlich entspannt und wirklich was Gefährliches passiert nie. – Selma, 32

 

Der Imbiss-Koch:

Am 1. Mai zumachen? Neee! Da ist ja richtig was los auf der Straße, also viel potenzielle Kundschaft unterwegs. Wir stellen hier eine Anlage auf und machen richtig Party! Hoffentlich rennen sie uns die Bude ein. – Sven, 33

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Kategorien Allgemein Spreewild

Vor 18 Jahren wurde ich in Berlin geboren und wusele seitdem dort durch die Gegend, immer offen für interessante Begegnungen und skurrile Situationen, auf der Suche nach mir selbst oder der, die ich sein möchte. Mich interessieren Musik, Theater, Politik, Natur und vor allem Menschen. Weil ich gern über alles nachdenke, schreibe ich auch gern. Denn – wenn ich all das, was ich denke, aufschreibe, bekomme ich Klarheit in meinen Geist und schöpfe Energie. Ich habe den Drang mich mit so vielen Themen wie möglich auseinanderzusetzen, gleichzeitig möchte ich andere Berliner*innen zum Nach- und Weiterdenken anregen. Beides vereine ich seit 3 Jahren in der Jugendredaktion.