Hochkultur

Borroni, Giesch und Hugut Foto: Arno Declair
Borroni, Giesch und Hugut Foto: Arno Declair

Erhaben und modern

Die Inszenierung von Thomas Manns „Der Tod in Venedig“ auf der Schaubühne überzeugt durch Vielschichtigkeit

Von Susann Ruscher

Der Roman „Der Tod in Venedig“ von Literaturnobelpreisträger Thomas Mann steht im Mittelpunkt der gleichnamigen Inszenierung von Maja Zade und Thomas Ostermeier, die im Dezember auf der Berliner Schaubühne zu sehen war. In ihr treibt Fernweh den Schriftsteller Gustav von Aschenbach nach Venedig. Der Greis hofft seiner selbstauferlegten Arbeitsdisziplin zu entkommen.

Als ihm im Grand Hotel am Lido der vierzehnjährige Tadzio in Badehose begegnet, überfällt Aschenbach ein bisher ungekannter »Einbruch der Leidenschaft«. In dem makellos schönen Teenager einer polnischen Adelsfamilie glaubt er die Verkörperung seines künstlerischen Ideals gefunden zu haben. Und auch Tadzio erwidert seine sehnsuchtsvollen Blicke. Bald jedoch verwandelt sich Aschenbachs homoerotische Anbetung in ein wildes, todbringendes Begehren. Vor den Augen der polnischen Adelsfamilie schminkt er sich. Er versucht sein hohes Alter zu kaschieren, wird jedoch zu einer lächerlichen Figur.

Besonders gelungen sind die Videoelemente von Filmkünstler Benjamin Krieg. Sie fangen simultan zum Spiel die Mimik der Darsteller detailliert auf einer Leinwand über der Bühne ein. So wird die schauspielerische Leistung von Aschenbach-Darsteller Josef Bierbichler sichtbar, der stets unsicher von links nach rechts um sich blickt. Das Publikum erkennt, dass Aschenbachs Aufmerksamkeit lediglich Tadzio gilt. Und es kann nachvollziehen: Zunächst ruhig, schwankt Aschenbachs Blick immer stärker. Der Greis wird ein Getriebener seiner Begierde. Die Gesichter der Adelsfamilie verwandeln sich in seinen Augen in verzerrte bedrohliche Grimassen.

Trotz dieser Detailansicht taucht der Zuschauer nie vollkommen in die inszenierte Welt ein, denn der Roman wird vorgelesen. Anstatt eines Dialoges zwischen den Figuren, bleibt er stets als Text erkennbar. Zudem lassen sichtbare Unterbrechungen und Ergänzungen des Spiels die Zuschauer nicht vergessen, dass es sich um eine Bühneninszenierung handelt: Der Umbau erfolgt vor den Augen des Publikums. Neben dem Schauspiel ringt der Klavierspieler und Drummer Timo Kreuser mit seiner musikalischen Performance um die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Und zwischen den Schauspielern steht mitten auf der Bühne der agierende Videokünstler Benjamin Krieg mit seinem Kabelträger.

Schließlich markiert ein an Scherenschnitte erinnernder Tanz dreier Frauen in schwarzen Gewändern vor erleuchtetem Hintergrund den Schlusspunkt und Tod Aschenbachs. Das textnahe Schauspiel wird abstrahiert. Asche regnet von der Bühne. Josef Bierbichler betritt nicht mehr als Aschenbach, sondern als Schauspieler, ein letztes Mal die Bühne und trägt unkostümiert Gustav Mahlers Kindertotenlieder vor.

Fazit: Eine sehr gelungene Vorstellung.

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