Zähne putzen und Osterglocken pflanzen: Ein Jahr als Au-Pair in London

Sophie war für ein Jahr als Au-pair in London und hat sich dort um drei Schwestern gekümmert. Uns erzählt sie von ihren Erfahrungen.

Muss man sich nach dem Schulabschluss wirklich direkt ins Studium oder in die Ausbildung werfen? Gibt es nicht eine Alternative zum Arbeitsalltag, der einen später sowieso noch lange genug in seinen Klauen halten wird? Wir zeigen euch, was man stattdessen alles in einem Gap Year anstellen kann.

Sophie Charlotte studiert seit Oktober Musik und Englisch in Bremen. Als sie dort kurz nach dem Abitur die Aufnahmeprüfung für Musik absolviert hat, wusste sie aber schon, dass sie sich erst ein Jahr später an der Universität immatrikulieren würde. In der Zwischenzeit war sie als Au Pair in London.

„Manchmal wird man auch ein bisschen als Haushälterin gesehen“

Au-pair bedeutet übersetzt „auf Gegenleistung“. Man wohnt bei der Familie, wird verpflegt und bekommt ein Taschengeld. Dafür ist man aber verantwortlich für die Kinder und übernimmt auch mal Aufgaben im Haus. Sophie wohnte bei einer Familie im Londoner Stadtteil Hampstead und kümmerte sich um drei Schwestern im Alter von fünf, zehn und zwölf Jahren. Sie nennt ihre Arbeit einen 24/7-Job: Haare bürsten und Zähne putzen, zur Schule bringen, bei den Hausaufgaben helfen und nachts die Alpträume der Jüngsten vertreiben. Doch das sind nur ein kleiner Teil des ganzen Programms. „Manchmal wird man auch ein bisschen als Haushälterin gesehen“, erzählt Sophie. Einmal musste sie sogar Osterglocken aus dem Garten holen, sie umtopfen und dann so tun, als hätte das ihr Schützling selbst getan – das Klischee der reichen und verwöhnten Mädchen ist nicht immer ganz unbegründet.

„Ich habe auf ganz verschiedenen Wegen Freunde gefunden.“

Am Anfang musste Sophie sich erst mal an die neue Situation gewöhnen. Sie war allein in einem neuen Land, hatte keine Bezugsperson und musste sich um komplett fremde Kinder kümmern. „Die erste Woche war ganz schrecklich“, gesteht sie. Zu Beginn hat sie viel persönlich genommen und sich verständlicherweise Vorwürfe gemacht, als eine der Schwestern plötzlich „Ich hasse dich!“ rief. Mit der Zeit hat sich das aber geändert und auch die Einsamkeit hat sich nicht lange gehalten. Ob im Sprachkurs, bei Konzerten oder im Musikunterricht: „Ich habe auf ganz verschiedenen Wegen Freunde gefunden.“ Mit einigen davon hat Sophie auch jetzt noch Kontakt.

Trotz einiger Startschwierigkeiten war das Gap-Year als Au-pair für Sophie eine Bereicherung, nicht nur aufgrund des Lebens im schönen London

Es gibt verschiedene Organisationen, die jungen Menschen dabei helfen, eine Au-pair-Familie zu finden und sie bei ihren Plänen unterstützen. Durch die Absicherung fällt es oft auch leichter, zu wechseln, wenn man sich doch nicht wohl fühlt. Sophie hat ihre Familie über AuPairWorld gefunden, eine kostenlose Plattform, bei der man nicht nur von den Eltern angeschrieben wird, sondern auch selbst aktiv suchen kann. „Es ist die einfachste Methode, wenn man sich zutraut, sich um alles selbst zu kümmern.“ Gerade, wenn man noch ein Visum braucht und zusätzlich mit Bankkonten und Telefonverträgen konfrontiert wird, kann es schnell stressig werden.

„Manchmal habe ich mich schon wie ein Vogel im Käfig gefühlt.“

Ein bisschen hat Sophie ihre Arbeit als Au-pair unterschätzt. Es ist sehr aufwändig, sich in Vollzeit um drei Kinder zu kümmern, die Freizeit kam manchmal sehr kurz und wegen der komplizierten Alarmanlage konnte sie nicht spontan abends ausgehen. „Manchmal habe ich mich schon wie ein Vogel im Käfig gefühlt.“ Außerdem überlegt sie inzwischen, ob ein Freiwilligendienst nicht doch besser zu ihr gepasst hätte. Nichtsdestotrotz konnte sie viel lernen und hat in ihrem Auslandsjahr stark verändert, wie sie nun im Nachhinein erkannt hat. Zudem weiß sie es zu schätzen, eine „wunderschöne, aufregende und spannende Stadt“ kennengelernt zu haben.

Vorerfahrungen beim Babysitten sind für ein Au-pair natürlich praktisch – „die hatte ich kaum, deswegen war ich am Anfang so aufgeschmissen“, erzählt Sophie lachend. Grundsätzlich kommt es aber immer auf die einzelne Person an und wie sie mit Kindern umgehen kann. Die drei Mädchen haben Sophie auf jeden Fall ins Herz geschlossen: Als sie vor kurzem zu Besuch war und an der Tür klingelte, hörte sie schon ein begeistertes „Lottiiie!“ aus dem Flur – schon für diese Freundschaft hat es sich gelohnt.

Du möchtest noch mehr Möglichkeiten eines Gap Years kennenlernen? Wie wäre es mit Work & Travel in Neuseeland, WOOFing in England oder einen Bundesfreiwilligendienst!

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