Zum Ende ihres Bachelors lässt Aniko ihr Studium noch einmal Revue passieren.

Ersti-Kolumne: Das erste Semester ist geschafft – Aniko zieht Fazit

Aniko ist Ersti. Wie es ihr in den ersten Wochen an der Uni ergeht, was sie erlebt und wie oft sie sich verläuft – über all das und noch vieles mehr berichtet sie in ihrer Erst-Kolumne.

Eintrag 16: Fazit nach einem Semester Uni: ernüchternd
Mein erstes Semester ist vorüber – das Fazit fällt ernüchternd aus: Pro Woche habe ich durchschnittlich 22 Stunden in Lehrveranstaltungen verbracht, hinzu kommen sechs Stunden in der Bibliothek und 20 Stunden für den Hin- und Rückweg. Die Farbe zwei grüner Textmarker hatte ich bis Ende Januar geleert, diverse Patronen-Hülsen dokumentieren das harte Leben meines Füllers und die karierten, mal mehr, mal weniger beschriebenen Blätter von vier Blöcken fanden ihren Weg in diverse Kursordner. Dennoch sprinte ich nach der letzten Prüfung aus dem Raum und würde am liebsten schreiend vor Glück das Unigebäude verlassen. Ich weiß noch genau, wie selbstsicher ich mich dafür entschieden hatte, entgegen aller Warnungen, mich an den beispielhaften Studienverlaufsplan zu halten. Rückblickend war es spätestens seit Dezember kein Zuckerschlecken mehr, diesen durchzuhalten. Die Prüfungsphase war doppelt zermürbend – vor allem dann, wenn die Ergebnisse nicht wie erhofft ausfielen, man aber trotzdem weiterlernen musste. Doch nun wird alles besser. Im zweiten Semester stehen weniger Kurse an. Das wird ein Kinderspiel. Zumindest rede ich mir das noch ein.

Während viele meiner Kommilitonen über einen Fächerwechsel nachdenken, bin ich noch zufrieden. Zumal man nach einem Semester ja wohl unmöglich abschätzen kann, ob sich die nächsten Jahre irgendwann als sinnlos investierte Zeit entpuppen, nur weil der Einführungskurs langweilig war. Ein gesundes Durchhaltevermögen bewahrt uns vor voreiligen Entscheidungen. Auch ist die Neugier auf die nächsten Kursinhalte bei mir ungebrochen. Nur die Prüfungsordnung verpasst ihr einen Gefühlsdämpfer, wenn ich lese, welches Sprachniveau und wie viele Hausarbeiten das Kursende verlangt.

Aber bevor ich mir über Zukünftiges den Kopf zerbreche, beginne ich vielleicht erst einmal mit den anstehenden Hausarbeiten.

Eintrag 15: Die Uni ist ein einziger Krieg
Die Uni ist ein einziger Krieg. Wer etwas anderes behauptet, studiert nicht sondern ist nur Student. Der tägliche Kampf um ein Schließfach in der Bibliothek, das Ringen um die letzten Reste des schlechten Mensa-Kaffees nach 16 Uhr, die Schlacht um gute Hausarbeitsthemen und interessante Referatsinhalte.

Und wie in jedem Krieg gibt es Gewinner und Verlierer. Von Letzteren gibt es zählenmäßig mehr. Denn Gewinner sind nur die, die in jedem Semester ihre eigenen Leistungsansprüche übertreffen und die akzeptieren können, dass alles so ist, wie es ist.

Der Rest beschwert sich vor jeder Klausur, wie schrecklich es war, nächtelang zu lernen und behauptet nach der Prüfung, da sei noch Luft nach oben gewesen. Das sind auch die, die verzweifelt herausfinden wollen, was „Wenn sie immer da waren, können sie die Klausur nur erfolgreich abschließen“ genau bedeuten soll. Und dazu gehören die, die versuchen, den Spagat zwischen Nebenjob, WG-Alltag und Unistress zu meistern und sich am Ende mal wieder beim Prof entschuldigen, dass sie 23 Uhr keinen Kopf mehr für Literaturwissenschaft hatten.

Dass wir alle Verlierer dieses Bildungssystems sind, beweisen auch Kommentare der wissenschaftlichen Mitarbeiter: „Wählen Sie Ihre Kurse ganz entspannt. Niemand schafft es, in der Regelstudienzeit fertig zu werden.“ Oder: „Ich kann den steigenden Krankheitspegel gut nachvollziehen in dieser stressigen Phase, aber zum Auskurieren haben Sie die vorlesungsfreie Zeit.“

Dank der Klausurenphase ist die Studentenschaft meiner Universität allgemein mies gelaunt. Wenn wieder einmal eine Tür auf dem Gang laut zuknallt und hektische Schritte zu hören sind, weiß man, das erneut jemand mit Ich-falle-durch-Gedanken die Prüfung verlässt.

Für meine erste Prüfung, eine Grammatikklausur, habe ich bereits Anfang Dezember begonnen, Lernzettel zu schreiben und täglich Vokabeln und Rechtschreibung zu pauken. Und doch scheint sich dieses Streberverhalten nicht auszuzahlen, denn mein Gefühl nach dem Bearbeiten der vier Seiten ist eher mies.

Immer häufiger zähle ich die Tage bis zur vorlesungsfreien Zeit. Die Erzählungen von Urlauben und Nebenjobs häufen sich. Die eine fliegt nach Thailand, der andere nach Ungarn, die dritte macht ein Praktikum beim Film. Verzweifelt versuchen wir uns fünf Minuten vor der Klausur das Leben schön zu reden, doch jeder weiß: Nach der Klausur ist vor der Klausur.

Eintrag 14: Wann sind nochmal Semesterferien?
Die dritte Uniwoche dieses Jahres beginnt und das Hausarbeitengespenst treibt sich um. Besonders die Erstsemester zucken zusammen, wenn der Dozent sagt: „Das wäre auch ein sehr schönes Thema für eine Hausarbeit. Setzten Sie sich doch damit mal auseinander.“ Jedes Thema ist sehr schön, jeder Essay und jeder Roman interessant – meinen jedenfalls die Dozenten. Zehn Seiten Hirnschmalz in Arial, Schriftgröße 12, Zeilenabstand 1,5. Nicht zu vergessen die Fußnoten – das, wie mir es scheint, eigentlich interessante an einer Hausarbeit. Denn alles, was uns Erstsemestern bisher eingetrichtert wurde über Hausarbeiten ist, dass Fußnoten alles retten und alles versauen können in einer wissenschaftlichen Arbeit. Man darf nicht zu viel, sollte aber auch niemals zu wenig zitieren, denn gerade in den Geisteswissenschaften wurde beinahe alles schon einmal erzählt und in schwarz-weiß festgehalten. Ergo: falsche Fußnoten = schlechte Note.

Bibliografien anlegen und Quellen auf ihre Tauglichkeit prüfen ist ganz schön viel Arbeit, wie ich feststellen muss. Kein Student hat mir jemals erzählt wie sinnlos einem die Auflistung zahlreicher Bücher vorkommen kann. Ich frage mich, wie oft ich in den Bibliotheken meiner Universität die Treppen hoch und runter getrottet bin, allein weil ich vergessen habe, dass nur im Erdgeschoss ein Kopierer steht.

Doch neben den Hausarbeiten sind da auch noch die mündlichen Prüfungen. Anders als in der Schule werden Prüfungstermine in der Uni nicht angeordnet, sondern man trägt sich zu einer Wunschzeit ein. Während der eine Dozent die improvisierte Auflistung der Prüfungszeiten längst verloren hat, geht der andere akribisch vor und kontrolliert genau, ob alle korrekt ihren Namen in den Spalten eingetragen haben. Anfang Januar war ich noch ziemlich entspannt, jetzt beginnt die langsam aufsteigende Panik meiner Kommilitonen auf mich überzuschwappen.

Ich sollte mich einer Lerngruppe anschließen und definitiv ein Sprachtandem finden und natürlich alle Texte noch einmal durchgehen und jeden Abend Vokabeln pauken und Sigmund Freuds Aufsätze in „Totem und Tabu“ paraphrasieren und ordentlichere Notizen in den Seminaren machen und den Essay im Nebenfach nicht vergessen zu schreiben… Wann sind nochmal Semesterferien? Mitte Februar?

Eintrag 13: Traumstunde in der Bibliothek
Die ersten Tage im neuen Jahr laufen schleppend. Seit Donnerstag sind die Lehrveranstaltungen wieder nahezu vollständig besetzt mit verschlafenen, unvorbereiteten Studenten. Neben Weihnachten und Silvester zu lernen haben offenbar die wenigsten geschafft. Das scheint die Dozenten nicht zu überraschen und so werden weder tadelnde Blicke verteilt noch fiese Sprüche losgelassen, sondern einfach der nächste mit der Frage behelligt. Dass draußen der Schnee kalt und feucht vom Himmel fällt, bremnst den langsam anlaufenden Unibetrieb abermals.

Der Kaffee- und Teekonsum steigt, die Nasen laufen und der Teppich in der Silberlaube quietscht bei jedem Schritt, weil er mit Wasser vollgesogen ist. In der Bibliothek liegt ein Typ ausgestreckt über einen roten Sessel und den angrenzenden grauen Tisch und schläft. Ich frage mich, ob und was ihn in der stillen Lern- Atmosphäre wecken könnte. Doch als ich das zweite Mal von meinen Recherchen aufsehe, beobachte ich eine junge Frau, die neben ihm steht und ihn bewusst anstarrt. Augenblicklich scheinen sich alle Studierenden im Umfeld von ihrer Lektüre zu lösen und blicken gebannt in dieselbe Richtung wie ich. Die junge Frau räuspert sich – nichts passiert. Sie legt den Bücherstapel aus ihrem Arm auf den Tisch neben sich ab und zieht ein breites Nachschlagewerk hervor. Der Schlafende atmet weiter gleichmäßig ein und aus. Als sie das Buch aufschlägt und neben sein rechtes Ohr hält, scheint die gesamte Bibliothek die Luft anzuhalten. Im nächsten Moment schlägt sie das Buch knallend zu und der junge Mann springt wie ein aufgeschrecktes Eichhörnchen auf. Leises Kichern ist rundherum zu vernehmen. „Das war das Feuerwerk der geplatzten Träume mein Lieber, denn so sieht deine Zukunft aus, wenn du nicht endlich ein Buch in die Hand nimmst“, zischt sie ihm nun zu. Ich muss grinsen, senke meinen Blick aber wieder auf die Seiten vor mir, um meine Träume nicht von der sicher bald herannahenden Bibliothekarin gefährden zu lassen.

Eintrag 12: Weihnachtsstimmung in Dahlem
Die letzte Woche vor den Weihnachtsferien ist für mich die derzeit ruhigste in meiner noch jungen Unilaufbahn. Mein Sprachkurs fällt aus, eine Dozentin beendet früher ihr Seminar und überhaupt sind alle ziemlich gelassen. Schon das Seminar am Montag ist fast leer. Dass der Abgabetermin eines Essays und die Behandlung des wohl schwersten Textes im Semester auf ein Datum fallen, hat der Dozent wohl nicht genau durchdacht. Ich fühle mich jedoch wie ein Held, der aus der Schlacht wiederkehrt, weil mein Essay bereits per Email an ihn rausgegangen ist.

Raus aus dem Seminar und rein in die leere Mensa ist die Kassiererin sogar zu Späßen aufgelegt, als ich nicht rechtzeitig den Pappbecher unter den Kaffeeautomaten schiebe und sich alles über den Tresen ergießt. Ich passe auch ohne Drücken in den Bus und fasse in der Bibliothek einen Platz zwischen Heizung und Steckdose ab. Im Minutentakt schreiben mir Kommilitonen, dass sie aus spontaner Erkrankung nicht zur nächsten Lehrveranstaltung kämen oder schon längst im Zug nach Hause sitzen. Die Zahl derjenigen, die während der Vorlesung noch schnell über die App Fernbusse buchen, steigt immens.

Selbst die Studentencafés stellen sich auf weihnachtliche Bedürfnisse ein: Glühwein im Angebot, Waffeln in der Auslage, Plätzchen noch ofenwarm.
An den Schwarzen Brettern im Institut hängen zahlreiche Plakate zu Weihnachtsfeiern aus und ganz witzige Unimitarbieter tragen kleine Rehntieranstecker an ihren Hemden. Da wird es mir ganz warm ums Herz, wenn ich sogar auf der vollen Damentoilette vorgelassen werde, weil mir meine Dringlichkeit wohl ins Gesicht geschrieben steht. Der Reinigungsmitarbeiter auf der Wischmaschine pfeift „Leise rieselt der Schnee“. Es wird Weihnachten in Dahlem und das einzige, was jetzt noch fehlt, ist kalter, einkalter Schnee.

Eintrag 11: Vor der Studienfachwahl die Studien- und Prüfungsordnung lesen!!
„Theaterwissenschaften und Niederländische Philologie, mh. Wissen Sie denn schon, was Sie damit später vor haben?“, fragte mich mein Mentor und blickte in mein fragendes Gesicht. Als es um die Wahl der Studienfächer ging, stand für mich von vorneherein fest: Theater, das muss es sein. Die Suche nach dem Nebenfach für meinen Kombi-Bachelor brachte mich dann nach Stunden des Kopfzerbrechens zu niederländisch. Unter den Top 5 befanden sich auch Germanistik, Publizistik und Kommunikationswissenschaft, Allgemein vergleichende Literaturwissenschaften und Sozial- und Kulturanthropologie. Doch am Ende überwiegte die Neugier auf eine neue Sprache und fremde Kultur.

Bis jetzt habe ich meine Entscheidung auch nicht bereut. Es ist sehr erfrischend, aus den vollen theaterwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen, in einen sehr kleinen niederländisch Kurs zu kommen, in dem der Dozent einen sogar mit Namen anspricht. Während ich in meinem Hauptfach noch immer kaum Kommilitonen kenne, kann ich in meinem Nebenfach beinahe jeden Kursteilnehmer bei Namen und Semesterzahl benennen.

Das einzige Problem und der von mir nicht geahnte Stolperstein besteht in der Vor- und Nachbereitung meines Studiums. Momentan gibt es drei Dinge, die ich tue: Entweder sitze ich in der Uni, ich schlafe oder ich lerne. Zwischen 120 und 200 Seiten Literatur lese ich jede Woche um in sämtlichen Seminaren auf dem aktuellen Stand zu sein. Hinzu kommen das Üben von Vokabeln und Grammatik, das Anschauen von Online-Vorlesungen, das Schreiben von Essays und Zusammenfassungen, Abtippen kleinerer Protokolle und Erarbeiten von Vorträgen. An dieser Stelle rate ich jedem dazu, vor der Studienfachwahl genau die Studien- und Prüfungsordnung zu lesen. Denn dann weiß man zumindest, auf was man sich gefasst machen muss.

„Also in den Niederlanden gibt es ja auch eine Theaterszene. Ich dachte, in einem Auslandssemester schaue ich mir das mal an“, sage ich später zu meinem Mentor.

Eintrag 10: Die Ersti-Fahrt
Groß angepriesen, weit im Voraus geplant und doch ganz anders als gedacht: die Ersti-Fahrt. Eine Horde Erstsemester vs. eine Handvoll Altsemester mitten in JWD. Ein Wald um die Ecke, eine Schleuse vor der Tür und nur Ofenheizung, beim ausrollen meines Schlafsackes frage ich mich, ob das gut gehen kann.

Das Programm ist bunt und vor allem vegan. Es soll zusammen gekocht werden, gespielt und natürlich getrunken. Schon bei der Ankunft fliegen die ersten Bierdeckel durch die Räume und laute Musik dröhnt über den Gang. Bei der ersten großen Versammlung aller Teilnehmer wird nach mehreren konfusen Anläufen eine Vorstellungsrunde der besonders langweiligen Art durchgezogen. Die Aufgabe lautete in etwa: Steh auf, nenn‘ deinen Namen und welche Fächer du studierst, schließe deine Präsentation mit einer Geste ab.

Wer danach nicht gerade trank oder Karten spielte, beteiligte sich an der Küchenarbeit. Spinat mit Nudeln wurde von einer kleinen Gruppen Studenten angerichtet und von einer doppelt so großen verschlungen – bevor der Startschuss für die Trinkspiele viel. Es bestand die Wahl zwischen Scrabble und Quiz-Karaoke, ich votierte für letzteres. Nach unzähligen Performances, richtig und falsch beantworteten Fragen, ging es allen Teilnehmern ziemlich gut. Wer hier keinen Spaß gehabt hatte, war wohl einfach nicht betrunken genug. Und wer sein Bett nicht fand, konnte sich einfach der brüllenden Partygemeinde auf dem Flur anschließen, die bis vier Uhr durchhielt.

Der nächste Tag: Zwei Klos überschwemmt, eines hatte den Spülkasten einbüßen müssen. Der Alkoholvorrat für das gesamte Wochenende war dahin, ob nun getrunken oder auf dem Boden verteilt. Alle Öfen waren erloschen, die Kälte kroch in die Schlafsäcke und das Holz vor der Tür war vom morgendlichen Tau feucht. Der Samstag zog sich dahin. Um das Mittagessen kümmerte sich jeder selber oder auch nicht. Eine Gedichtwanderung wurde angeboten, gemeinsames lesen und backen. Das Wetter draußen wurde windiger.

Der Sonntagmorgen wurde mit literweise Kaffee begossen, eine kleine Gruppe Kommilitonen backte Lebkuchen, der Rest räumte auf oder versteckte sich im Wald vor den Putzarbeiten. Als ich im Zug nach Hause sitze, gehen mir die Texte durch den Kopf, die ich für die kommende Woche noch lesen muss, Vokabeln, die noch gelernt werden wollen und ein Essay, der in Stichworten auf meinem PC schlummert. „Das war eine super Fahrt. Lasst mal wieder zusammen wegfahren irgendwann“, sagt eine Kommilitonin, die mir gegenüber sitzt. Ich lege den Kopf schräg: „Joar, kann man mal machen…“ – und beende den Satz für mich im Stillen mit „…muss man aber nicht“.

Eintrag 9: Dozenten – von galant bis unheimlich sympathische
Es ist der Donnerstag vor der Ersti-Fahrt und die wenigstens der mehr als 100 eingeschriebenen Teilnehmer sitzen heute im holzgetäfelten Hörsaal. Die Professorin lässt das kalt. Überhaupt habe ich das Gefühl, vieles lässt sie kalt.

Nach fünf Online-Vorlesungen mit ihr bin ich mir noch nicht sicher, was ich von ihr halten soll und ich kann mittlerweile fast all meine Lehrerenden einordnen. So habe ich Professoren, die uns duzen, Dozenten, die darum bitten, sie nicht mit Krankheitsnachrichten zu belästigen oder Kursleiter und -leiterinnen, die der Menge an Studenten im Raum nicht Herr werden.

Allgemein konnte ich bisher feststellen, dass viele Klischees bedient werden. Der verstreute, nicht technikaffine aber unheimlich sympathische Professor verweist stets an seine alles organisierende Sekretärin. Die kleine, strenge Sprachlehrerin ermahnt uns, regelmäßig Vokabeln und Kapitel aus dem Lehrbuch eigenständig zu wiederholen. Der stets nett lächelnde aber selten laut lachende wissenschaftliche Mitarbeiter unterschätzt oft den Diskussionsbedarf einer 40-köpfigen Seminargruppe und nimmt unter dem Vorwand „Sie sind jetzt der letzte, danach müssen wir wirklich weiter machen!“ noch vier weitere Studenten mit Wortmeldungen ran. Und dann wären da noch die Super-Professorinnen und Perfect-Profs, die über allem zu schweben scheinen. Ein Hauch ins Mikrofon und der Hörsaal schweigt, der Kleidungsstil genauso galant wie die Aussprache, Randkommentare über ihre sportlichen Aktivitäten in der Freizeit, wiederholendes Hinweisen auf „unglaublich, spannende Lektüren“, nicht selten ihre eigenen und nicht zuletzt mit schier unglaublichen Sprachkenntnissen. Stelle man sich all die Dozierendentypen als Studenten vor, was müssen die ihre Kommilitonen und Dozenten genervt haben.

Eintrag 8: Der Altsemester, eine Spezies für sich
Jeden Montag sitze ich bis acht Uhr abends in einem vierstündigen Seminar. Während andere Profs Vorträge und Präsentationen ganz aus ihrem Seminarplan gestrichen haben, hat dieser Dozent das Impulsreferat zur revolutionären Schwester des Powerpoint-Geschwafels erklärt. Jeder Student hat ein solches Referat vorzutragen – drei Minuten Zeit, kein Handout und nur die wichtigsten Werke und Lebensstationen des vorzustellenden Künstlers dürfen genannt werden. Kein Wunder, dass die Referentin einer Essay-Autorin einen Lacher landet, als sie das A4-große Konterfei ihres Referatsinhaltes hochhält. Am lautesten lachen dabei die Altsemester – diejenigen, die erst im 3. Semester Basismodule belegen und nicht mal mit Stift und Papier zum Seminar erscheinen.

Der Altsemester, wenn er denn mal da ist, kommt generell auf den letzten Drücker oder weit über dem akademischen Viertel. An seinem Körper findet man selten eine büchergefühlte Tasche, eher einen fancy Strickmantel der aussieht wie eine Errungenschaft vom Flohmarkt. Dann drückt er sich auf einen der letzten verbleibenden Randplätze und beschäftigt sich die nächsten Stunden mit seinem Handy. Sollte er eine Äußerung zur aktuellen Diskussion beitragen wollen, tut er dies steht’s Matewedelnd und mit allwissendem Blick. Er erklärt, belehrt und widerspricht selbstbewusst dem Dozenten. Nicht selten schüttelt er den Kopf über Aussagen seiner Kommilitonen, stellt Blickkontakt zu anderen her und verkneift sich dann das Lachen. Der Altsemester lässt sich als Buch mit antikem Hardcover und abgedrucktem Bilderbuch im Inneren beschreiben, alt und zugleich kindisch. Doch das soll hier keine Abrechnung werden, auf keinen Fall. So sind die meisten von ihnen sehr hilfsbereit, nachdem sie sich einmal herzlich ausgelacht haben über die typischen Ersti-Fehler und geben nicht selten wertvolle Tipps. Außerdem ist der Altsemester oft auch noch nach der Pause da und gibt sich nicht nach zweieinhalb Stunden Impulsreferaten, Textauswertungen und Sichtungen geschlagen. Dieses Durchhaltevermögen hat er schließlich auch schon länger trainieren können als so mancher Ersti.

Eintrag 7: „Und das schlimmste sind die Erstis“
Massenhaft Studenten drücken sich durch die große Mensa. Eine Club Mate fällt einem schwachen koffeinsüchtigen aus der Hand und zerspringt imposant. Eine junge Studentin mit Jutebeutel und Wollstirnband diskutiert mit der Kassiererin über den Preis ihres Sojamilchtrinkpäckchens. Die Schlange hinter ihr wird immer länger. Wer eine Mittagspause zur Rush Hour um 12 Uhr überlebt hat ist ein echter Student. Mit Salamibrötchen und Schokomilch stehe ich an der Kasse an und rätsel darüber, warum all die armen Studenten die Mensa stürmen, um sie mit einer völlig überteuerten Mate und mäßig leckeraussehendem Essen zu verlassen.

Ich werde von hinten angetippt: „Sorry hi, ich habe leider kein Geld mehr auf der Mensakarte. Kann ich dir mein Kleingeld geben und du bezahlst für mich mit?“ Natürlich mache ich das. Uni ist nicht Schule. Während du in der Schule fast alle kanntest, zumindest optisch, begegnest du an der Uni täglich neuen Gesichtern. Und irgendwie scheint zwischen Studenten grundsätzlich ein freundliches Miteinander zu herrschen, zumindest bis man dem Vordermann in der Warteschlange aus Versehen den Kaffee über den Rücken kippt, beim Schuhe zubinden am Bibliothekseingang fast zwanzig andere Studenten aufhält oder am Unidrucker so viel kopiert, dass der Techniker zum Papierauffüllen kommen muss.

Der Regen schlägt gegen die Fensterscheiben als ich die Mensa verlasse und nach einem Sitzplatz Ausschau halte. Keine Chance. Abgesehen vom Fußboden blieben nur noch Plätze auf dem Flur. Ich lasse mich auf einen Gittersitz fallen, Das Foyer wird sich schon leeren, wenn die nächsten Lehrveranstaltungen losgehen.

Mit dem Laptop auf dem Schoß sehe ich nach den Onlineressourcen der Bib und fühle mich grandios. Jetzt machte ich schon richtige Studidinge. Ein Pärchen geht an mir vorbei und unterhält sich auf französisch, mir gegenüber sitzt ein Mädchen und telefoniert auf japanisch, rechts an die Flurwand gelehnt sitzen zwei Russen und diskutierten wild. Ich bin begeistert. Zwei Deutsche lassen sich auf die Bank neben mir fallen. „Und das schlimmste sind die Erstis die sich für jeden Scheiß begeistern lassen und nach einem Monat meinen, sie hätten den vollen Unidurchblick“, sagt die eine zur anderen. Ich ziehe mich getroffen hinter meinem Laptop zurück und nippe an meiner Club Mate.

Eintrag 6: Aniko begreift, warum sie eigentlich studiert
Ich weiß nicht ob es jedem Studenten so geht wie mir, ich kann nur mutmaßen. Aber nach drei Wochen der absoluten Reiz- und Wissensüberflutung verliert sich ein Ersti im Unialltag oder findet den entscheidenden Antrieb, sein Studium in die Hand zu nehmen.

„Bibliografieren Sie! Gehen Sie in die Bibliotheken! Suchen Sie Bücher! Stellen Sie fest, dass Freitag um drei beim gleichen Schlagwort andere Werke im Katalog erscheinen, als am Montag um zehn.“ – Mit diesen Worten meiner Professorin im Ohr schlendere ich Freitagfrüh in die Bib. (Nicht nur die Unisprache schleicht sich langsam in meinen Wortschatz ein, auch die kriechende Sucht nach Marte klopft mir mindestens dreimal am Tag an die Schädel.) Voller Tatendrang notiere ich Signaturen und Buchtitel aus dem Bücherkatalog der Bibliothek und begebe mich in den Keller.

Bücher hatten für mich schon immer etwas magisches an sich. Wie sie flüsternd in den wackeligen Regalen standen, voller Geschichten, Wissen und Erfahrungen, wollte jedes mir, weise wie es war, seinen Inhalt als erstes erzählen. Das nun vor mir auftauchende Labyrinth aus Sackgassen und Kreuzungen bot sich mir bedrohlich und trotzdem verlockend an.

Nachdem ich in den ersten zwei Wochen in Seminaren gesessen und Texte bis zum Glühen des Druckers kopiert hatte, ohne sie zu hundert Prozent verstanden zu haben, begriff ich an diesem Freitag, warum ich überhaupt studierte, warum ich studieren wollte: Um zu wissen! Wenn ich nur ein Drittel der hier stehenden Bücher lesen konnte, nur aus einem Drittel der Bücher mir Lehrreiches aneignen konnte, dann würde ich über eine immense Sicherheit in meinem Fach verfügen. Und das Wissen dafür wollte ich wie ein Schwamm aufsaugen.

Ich sah mich vor meinem inneren Auge für Hausarbeiten und Essays recherchieren, Buch für Buch aus den Regalen ziehend, auf der unstillbaren Gier nach neuen Hinweisen und Rätseln. Wie ein Engländer seinen Rasen, strich ich ehrfürchtig mit den Fingerkuppen über alte Werke und vergilbte Buchrücken. Casper rappt immer: „der Sinn des Leben ist leben“. Ich deute das für mich um: Der Sinn der Uni ist wissen.

Eintrag 5: Wohnungslose Kommilitonen
Magenta und Riff-Raff kündigen mir über meinen iPod den Zeitsprung an während ich zur Straßenbahn laufe. Laut dröhnt mir die Musik in den Ohren: „Let’s do the time warp again!“ Im Gegensatz zu den Rollen der „Rocky Horror Picture Show“ kann ich nicht in der Zeit springen, wobei ich zu gern wie Hermine Granger einen Zeitumkehrer hätte. Ich gehe im Dunklen los und komme im Dunklen heim. Den grauen Tag betrachte ich durch die Fensterscheiben der Seminarräume oder erlebe den Regen während kurzer Pausen im Freien. Das alles deprimiert schon ein wenig.

Doch nach der zweiten Woche beginnt man langsam seine Kommilitonen kennenzulernen und kommt ins Gespräch. Gerade stelle ich fest, wie selten doch „echte Berliner“ an meiner Universität sind. Hamburg, München, Düsseldorf, Frankfurt – von überall pilgern junge Menschen in die Hauptstadt um zu lernen. In einem meiner Seminare sitzen tatsächlich nur noch zwei weitere Urberliner – von fünfzig Teilnehmern! Was mich dabei ein wenig erschreckt ist, dass die meisten keine Wohnung haben. Sie schlafen bei Verwandten, kommen bei Freunden zeitweilig unter oder beziehen Betten im Hostel. Manche tuen sich als Gruppe zusammen und mieten eine Ferienwohnung. Dann erzählen sie von schrecklichen Massen-Castings für WGs, unglaublichen Preisen für viel zu kleine Wohnungen und deprimierenden Erfahrungen bei einer Bewerbung fürs Studentenwohnheim.

Dieser bunte Haufen aus Menschen bringt unglaublich viele Interessen zusammen, Vorwissen und Leidenschaften. Nicht nur die Herkunft und die Beweggründe für Umzug oder Studium der einzelnen sind spannend, auch ihre Begleitung ist manchmal ganz besonders. So saß mir vor ein paar Tagen ein kleiner schwarzer Hund gegenüber, der, wenn er nicht zusammengerollt auf seinem Stuhl schlief, mit seinen braunen Augen die Seminarteilnehmer beobachtete.

Langsam erschließt mir sich auch die horrende Zahl an Unijahren, die manche Studenten schon mit sich rumschleppen. So sitzen doch tatsächlich dritt- und fünfsemester in meinen Basiskursen mit der Begründung, erst nur das zweite Fach ihres Kombi-Bacherlos studiert oder bereits zweimal den Fachbereich gewechselt zu haben. Eigentlich gar nicht so doof, denke ich mir und betrachte den wachsenden Lesestoff.

Eintrag 4: Bin ich zu überambitioniert?
Es gibt so Regeln in der Uni. Eine davon lautet: „Nichts ist verpflichtend, es wird jedoch empfohlen.“ Sprich: Geh in diese Lehrveranstaltung oder du verstehst den gesamten Stoff nicht. Das trifft zumindest auf das Tutorium zu, das sich in dieser Woche in meinem Stundenplan einen Platz unter den Nagel gerissen hat.

Schwierig ist es jedoch, die wenigen Univeranstaltungen auszusortieren, die tatsächlich nicht unbedingt besucht werden müssen. Die Immatrikulationsfeier ist eine solche. Während ich mich dort mit Tausend Hausaufgaben im Kopf tatsächlich hinschleppe und ein fast zweistündiges Programm über mich ergehen lassen, zieht es der Großteil der Ersti-Geistenwissenschaftler vor, nicht aufzutauchen. Versteht mich nicht falsch, der Abend war witzig – aber nicht so gewinnbringend wie ich hoffte. Besonders die Slammer-Band Frau Rotkohl war ein Highlight und gehört mit ihrer humorvollen, zeitweilig spontanen und klugen Musik auf viel größere Bühnen. Der zweite Stern am Immatrikulationsfeier-Himmel ist dann auch gleich der letzte: Yulian, ein ehemaliger Student, hält eine Rede über seinen Dreifachbachelor und bisher gesammelte Lebenserfahrungen. Er erweckt etwas Neid in mir und schürt sogleich die Hoffnung, dass das bisher chaotische Studium doch noch einen Sinn für mich haben wird.

Doch um beim Chaos zu bleiben: Die erste Woche überlebt, nehme ich mir unbewusst täglich drei Stunden Zeit, um über die Regelstudienzeit nachzusenken. Denn schon jetzt sitze ich zwischen zwei Seminaren auf dem kalten Unigang und paraphrasiere Fachliteratur. Meine Dozenten werden diesen Ausdruck wohl als inkorrekt bezeichnen, aber für mich ist ein Text Fachliteratur, sobald ich in jedem Satz zwei Wörter nicht kenne. Lesen, nachschlagen, lesen, Teilüberschrift finden – diese Methode erscheint mir zur Zeit am sinnvollsten um die seitenweise zusammengesetzten Thesen und Erklärungen zu durchdringen.

Mein Wochenendseminar beginnt eigentlich erst um zehn Uhr und trotzdem sitze ich schon um sechs Uhr morgens an den Vorbereitungen der nächsten Tage. Bin ich zu überambitioniert? Wird mir der sich stapelnde Textberg irgendwann egal sein? Überlebe ich ein Seminar ohne die dreißig Seiten Vorbereitungslektüre? Während sich die Welt vor Clowns gruselt, träume ich nachts von mich auffressenden Wörterbüchern und sich ständig vervielfältigen Textseiten.

Eintrag 3: Aniko streicht erste Veranstaltungen
12 Uhr mittags. Ich sitze unruhig vor dem Computer. Nervös vergleiche ich meine Kurswunschliste mit den Kursen, die mir das System als die anzeigt, die ich tatsächlich bekommen habe. Die Ausbeute ist nicht schlecht. Bis auf eine Veranstaltung habe ich tatsächlich alle Erstwunschvorlesungen und Praxisseminare bekommen. Dafür, dass ich mich zunächst so stark unter Druck habe setzten lassen, bin ich jetzt ganz froh und entspanne mich langsam. Dreimal pro Woche Sprachunterricht und fünf Seminar- und Vorlesungsblöcke fügen sich leicht in meinen Stundenplan ein. Ich freue mich über erste leere Tage, an denen ich jeweils nur am morgen einen Unikurs besuche. Eine Praxisübung im Blockformat wird nur drei Wochenenden in meinem Plan in Anspruch nehmen.

Zwei Tage später bin ich nicht mehr ganz so guter Dinge. Eine Vorlesung streiche ich aus meinem Plan und zusätzlich verschwindet ein Seminar, bei dessen Belegung ich mir von Anfang an unsicher war. Nachdem ich nun bereits einige Dozenten kennengelernt und Stunden in ihrer Gegenwart verbracht habe, wird mir klar, dass das Studieren doch weniger entspannt wird als geplant. Bereits jetzt habe ich mit Vor- und Nachbereitung unheimlich viel zu tun und frage mich, ob der Studienverlaufsplan ein schlechter Scherz der Uni sein soll.

Aufmerksame Leser werden sich spätestens nach diesem dritten Eintrag fragen, was die Autorin denn nun studiert. Noch will ich das nicht preisgeben. Bis hierher nur so viel: Mein Bachelorstudium ist eine Kombination aus zwei Fächern, die nur an einer einzigen Universität in Berlin – und wahrscheinlich in Deutschland – möglich ist. Ich studiere in zwei Extremen. Zum einem in einem völlig überfüllten Fach, in dem die Studenten um Kurse ringen und der Hörsaal überfüllt ist, und zum anderen an einem vergleichsweise winzigen Lehrstuhl, an dem in meinem ersten Seminar sechs Leute saßen.

Eintrag 2: Adieu Regelstudienzeit, was bist du doch für ein schönes Märchen!
Es ist halb acht Uhr abends und die Straßenlaternen erleuchten mein Zimmer. Den Laptop auf der Fensterbank abgelegt, kauere ich in meinem Schreibtischstuhl davor und klicke im Unimanagment-Portal herum. Um mich herum liegen zerknitterte Notizzettel, Prüfungs- und Studienordnungen. Die O-Tage an meinem Institut haben begonnen und mich bereits am ersten Tag gelehrt: „Vergiss die Regelstudienzeit, dass ist eh nicht zu schaffen!“ und „Wähl‘ was du kannst, gib alle Präferenzen an, damit du irgendwo reinkommst!“

Eigentlich bin ich nicht leicht zu verunsichern, doch schon der schlechte Start in den Tag prophezeite mir, heute widerfährt dir nichts Gutes. Denn dank der Öfis kam ich direkt zu spät zur Willkommensveranstaltung. Nach einem kurzem Gedränge am Eingang des Hörsaales gelang es mir dann doch noch, sitzend Anteil an der Begrüßung durch die Fachschaft zu nehmen.

Das weitere Tagesprogramm beinhaltete Erläuterungen zur Kurswahl und zum Mentoring. Auch stellte sich der Lehrstuhl vor und präsentierte in allen Einzelheiten die angebotenen Kurse. Jahrmarktähnlich wurden Seminare und Vorlesungen angepriesen, als hätten wir tatsächlich die Wahl.

Besonderes Highlight: die Onlinevorlesung, die dieses Jahr erstmals erprobt wird. Was die Dozenten und meisten anwesenden Studenten in Freudentaumel versetzt, enttäuscht mich glatt ein wenig. Zum einen will ich gerne wie ein richtiger Student in den Hörsaal gehen um mir unheimlich wichtige Notizen zu machen. Zum anderen habe ich schlicht weg die Befürchtung, mich nach drei Wochen Bildschirmgeglotze nicht mehr motivieren zu können.

Doch diesen und viele weitere Kurse habe ich heute gewählt. Samstag gegen Mittag werde ich dann wissen, welche Kurse das Losverfahren für mich ausgefiltert hat. Schon jetzt schiebe ich Panik. Denn viele zeitliche Lücken habe ich durch mein Nebenfach nicht. Und wenn ein Kurs nicht mehr passt, fliegt mein ganzer Stundenplan auseinander. Adieu Regelstudienzeit, was bist du doch für ein schönes Märchen!

Eintrag 1: Wo sind die Anmeldelisten für die Kneipentouren?
Mit Block und Stift in der Tasche komme ich mir um kurz vor neun wie eine richtige Studentin vor. Mir steht mein erster Tag an der Uni bevor. Schon nach zwei Stationen ist es in der Straßenbahn so eng, dass ich nicht mal ein Buch vor mein Gesicht halten, aber im Chatverlauf meiner Nachbarin mitlesen kann.

Die zentrale Einführungsveranstaltung findet im größten Hörsaal statt. Als ich ankomme, ist der schon komplett überfüllt. Die Neuankommenden werden auf kleinere Hörsäle verteilt. Jeder bekommt eine dicke Broschüre in die Hand gedrückt, die die meisten fragend durchblättern und schließlich in der Tasche verschwinden lassen. Beim Öffnen der Saaltüren beginnt das große Rempeln, Treten und Schupsen. Muss ich das jetzt bei -jeder Vorlesung ertragen?

Als die Präsentation flackernd auf der Wand erscheint, wird mir klar, dass das hier alles andere als eine witzige Einführungsveranstaltung mit gratis Kugelschreibern und Anmeldelisten für Kneipentouren wird. Die Stimme einer jungen Frau ertönt. Sie bittet uns, aufzurücken, damit jeder einen Platz findet. Es dauert eine Weile, bis auch der Letzte begriffen hat, dass sie nicht mit uns spricht, sondern mit den tausend Leuten im Nachbarsaal.

Uns wird lang und breit das Wählen unserer Studienkurse erklärt und das Unigelände beschrieben. Beides Dinge, die mit logischem Menschenverstand allein lösbar sind. Immer wieder stehen Leute auf und verlassen den Raum. Sie kommen nicht wieder. Auch ich führe über die nächste Stunde einen Kampf aus trist dreinblicken und Kommilitonen beäugen. Zwei Reihen vor mir sitzt ein Mädchen, das abwechselnd seinen Mascara im Handspiegel kontrolliert und im nervösen Takt des Kugelschreiberklickens ihrer Nachbarin die langen blonden Haare in den Nacken wirft. Was die wohl studiert? Das werde ich mich wohl noch öfter fragen.

Aniko studiert an der Freien Universität Berlin.

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Kategorien Schule & Zukunft Uni & Ausbildung

90er-Kid, Bücherwurm, Weltenbummler. Ich liebe Musik und das geschriebene Wort. Letzteres kann man von mir seit 2012 hier lesen. Meine große Leidenschaft gilt dem Theater, das mich mehr als alles andere fasziniert. Wenn ich durch die Straßen Berlins laufe, kommt mir das Leben vor wie eine Aneinanderreihung vieler kleiner Inszenierungen, deren Geschichten alle festgehalten werden wollen. So inspiriert mich unsere Hauptstadt stetig zu neuen Themen für unsere Seite.

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