Ana an der Uni: „Ich hätte gerne mal einen Sitzplatz“

Die ersten Uni-Wochen sind um. Ich bin offiziell Studentin. Dass ich weder einen Fehler bei der Bewerbung gemacht habe noch meine Immatrikulation in der Post verloren gegangen ist und ich auch nicht die Ersti-Woche verpasst habe, grenzt fast an ein Wunder. Puh. Viel schwieriger kann es ja eigentlich nicht mehr werden.

In der Ersti-Woche saß ich also zwischen Juristen (in grüner Chino-Hose) und Natasa. Natasa studiert ganz dem Klischee entsprechend Slawistik mit Augenmerk auf Russisch und macht das nur, damit Papa nicht mehr nervt. Sie erklärt mir gleich, wie der Hase läuft, während sie den Stuhl entstaubt um ihren Pelz (hab mich nicht getraut zu fragen, ob der jetzt echt ist) darauf abzulegen. Sie ist nur heute hier. Studieren sei was für Anfänger. Ich höre trotzdem zu. Schließlich ist mein Papa kein reicher Russe sondern KSC-Fan am Wochenende und Retter in der Not, wenn der Ikea-Schrank zusammenbricht. Und tatsächlich will ich hier eigentlich was lernen. Nach der Anmeldung bei Bib und Mensa geh ich wieder.

Dienstag geht es richtig los. 10:04. Ich laufe in das Germanistische Institut und bin extrem stolz, zehn Minuten vor Beginn in der Uni zu sein. Erwartungsvoll schwinge ich die Tür auf und blicke in 250 erschrockene Augenpaare. Spot an, anscheinend bin ich die letzte. Ich stehe erst mal eine Weile in der Tür rum, weil ich nicht damit gerechnet habe, nicht mal in der ersten Stunde einen Sitzplatz zu bekommen. Ernsthaft: So viele Jobs für Leute, die Deutsche Literatur studiert haben, kann es gar nicht geben. Ich setze mich also auf den Boden. Zum Glück sitzen da noch andere.

Blick auf den Stundenplan. Aha, Mediävistik. Erst mal googlen: „Die Mediävistik (lateinisch medium aevum ‚mittleres Zeitalter‘), auch Mediaevistik oder Mittelalterforschung, ist die Wissenschaft vom europäischen Mittelalter.“ Mh, immerhin der Prof. ist nett. Erzählt erst mal von seiner Liebe zu Bruce Springsteen und dass er, weil er so oft alleine ist, in seiner Sprechzeit irgendwann mal einen Kaktuss geschenkt bekommen hat. Ich nehme mir vor ihn zu besuchen.

Und so plätschern die ersten Woche so vor sich hin. Ich sitze auf dem Boden – nein, ich komme keine 30 Minuten vor Beginn der Unterrichtsstunde! Haben die das mit dem cum tempore noch nicht verstanden? Akademisches Viertel? Leute? – und google hauptsächlich Worte. Am Anfang noch verstohlen, weil ich nicht wollte, dass sich meine potentielle Lerngruppe für mich schämen muss, aber dann immer offener. Schließlich tun das die anderen auch. Gut, natürlich gibt es die Streber. Zum Beispiel die Japanerin, die hier ihr Erasmus macht und in der ersten Stunde zur älteren deutschen Sprache aufstand und erst mal 15 Minuten lang über die Entwicklung der deutschen Dialekte im Mittelalter referiert – bis irgendwann selbst der Prof. abwinkt.

Wenn wir schon beim Abwinken sind. So. Viel. Zu. Lesen! Ich liebe lesen, ich war schon in der Grundschule so begeistert davon, dass besagter Fußball-Fan-Papa nachts die Glühbirne aus der Lampe drehen musste. Und ich lese schnell. Was logisch ist, weil ich viel lese. Aber diese Texte. Ich meine, mir war klar, dass es mit deutscher UND slawischer Literatur schon happig wird, aber ich kenne mich mittlerweile in der Bibliothek aus wie in meiner sprichwörtlichen Westentasche.

Apropos, ich muss jetzt auch wieder los. Für neuere deutsche Literatur muss ich mich noch mit Amor und Psyche auseinandersetzen und wer wen warum hinters Licht geführt hat. Außerdem hätte ich gerne mal einen Sitzplatz.

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Kategorien Schule & Zukunft Uni & Ausbildung

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