Gemeinsam wurde viel darüber gesprochen, wir Europas weiter gedacht werden könnte.

Schüler debattieren über das Europa von morgen

Unter dem Motto „Europa weiter gedacht“ diskutierten am Dienstag etwa 300 Schüler der Lichtenberger Max-Taut-Schule über die Zukunft des Staatenbündnisses.

Aufnahmen des vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Europa flimmern über die Leinwand. Dann ein Zitat Willy Brandts aus dem Jahr 1943: „Der Tag wird kommen, an dem der Hass, der im Krieg unvermeidlich scheint, überwunden wird. Einmal muss das Europa Wirklichkeit werden, in dem Europäer leben können.“ Sprung in die Gegenwart. Dresden, Warschau, Coventry, Rotterdamm. Längst sind die Trümmer beseitigt. Moderne Bauten schmücken die Skylines. Zwölf Sterne formieren sich zur Europäischen Flagge. In der Aula der Lichtenberger Max-Taut-Schule ist ein leises Aufatmen zu vernehmen.

Knapp 300 Schüler der Lichtenberger Max-Taut-Schule haben sich anlässlich der Europawoche 2016 in ihrer Aula versammelt. Heute geht es nicht darum, nachdenklich in der Vergangenheit zu verharren, sondern in die Zukunft zu schauen. „Europa weiter gedacht“ lautet das Motto des Tages. Doch ganz ohne Schwermut gelingt auch dieser Blick nicht. Zu uneins scheint das Bündnis, zu laut die Stimmen jener, die nach Abschottung rufen. Ein Geräusch, das auch Martin Heipertz vernimmt. Im Bundesfinanzministerium ist der CDU-Politiker für Grundsatzfragen der europäischen Politik zuständig. „Wir bekommen oft gesagt, in der Bevölkerung schwinde der Zuspruch für Europa. Mit Sorge beobachten wir den Vormarsch rechtspopulistischer Parteien. Ich denke aber, dass es hier ein Stück weit nicht um die Frage „Europa, ja oder nein“ geht, sondern die Menschen reaktionär denken, weil sie Angst vor der Modernen haben“, so Heipertz. Sein Herz schlage für Europa, der Appell an die Schüler ist klar formuliert: „Die Amerikaner und Russen fahren mit uns Schlitten, wenn wir zersplittert sind. Wir müssen uns zusammenraufen, wir müssen das zusammen hinbekommen, sonst gehen wir unter.“ Applaus. Die Schüler scheinen an Europa zu glauben und sein Potential, wenngleich sie in ihrem kurzen Leben kaum positive Schlagzeilen über den Staatenverbund lesen durften.

Anhand der Finanzkrise haben sie gelernt, was Europa ist. Auch Heipertz wurde durch sie geprägt: „Damals haben wir zum ersten Mal das Gefühl bekommen, dass das alles gegen die Wand fahren kann.“ Zwar bestimmt sie nicht mehr, anders als die sogenannte Flüchtlingskrise, die tägliche Berichterstattung, sei aber dennoch noch immer nicht gänzlich überwunden. „Doch bisher haben wir immer alles hinbekommen“, versucht der Politiker Mut zuzusprechen. „Europa häutet sich an den Krisen. Ich sehe sie als Geburtswehen, die ein neues Europa hervorbringen.“

Dass die Union überhaupt ins Wanken komme, sei auf einen Konstruktionsfehler zurückzuführen, der bei ihrer Gründung gemacht wurde. „Sogenannte Hart- und Weichwährungen wurde vereint“, erklärt Heipertz. Zu ungleich seien die Mitgliedsstaaten damals hinsichtlich ihrer Stabilität gewesen. Geknirsche im Getriebe ist die Folge. „Nun müssen wir nachbessern, was damals nicht ausgereift war.“

Auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen träumt von einem einigen Europa, wenngleich auch sie um die aktuellen Herausforderungen weiß. „Die festgeschriebene Freizügigkeit des Personenverkehrs wird massiv in Frage gestellt. Die Mauer am Brenner ist fast schon der Abschied von der Idee Europas.“ Viele Politiker Europas hätten sich in den vergangenen Monaten einen „Wettlauf der Schäbigkeit“ geliefert, den Roth scharf kritisiert. „Das Mittelmeer ist ein europäisches Meer“, betont die Grünen-Politikerin. „Politiker sollten nicht versuchen zu definieren, wer dazu gehört und wer nicht. Wir brauchen ein starkes Europa, das an einem Strang zieht.“ Zu wenig werde für die Bekämpfung der Fluchtursachen getan, kritisieren die Schüler. Und wie könne es sein, dass Deutschland Waffen an Kriegsgebiete liefert? Auch Claudia Roth ist das ein Ärgernis. „Damit schaffen wir nur neue Fluchtursachen.“

Dass sich die Vereinten Nationen in der Agenda 2030 dazu verpflichtet haben, aktiv gegen die Armut und den Hunger in der Welt zu kämpfen, bewerten die Schüler der Max-Taut-Schule als richtigen Schritt, wenngleich sie kritisieren, dass Deutschland mehr als nur 0,4 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit aufwenden sollte. Wie nötig das Abkommen ist, verdeutlich ihnen Claudia Roth an zwei Beispielen: „Landwirte in Indien können ihre Milch nicht mehr verkaufen, weil Europa billiges Milchpulver auf den Markt wirft. Und die großen Flotten im Senegal fischen den kleinen Fischerfamilien sozusagen ihren Lebensunterhalt weg.“ Nachhaltigkeit fange jedoch bereits vor der eigenen Haustür an. „Deutschland ist Weltmeister in der Kohleverstromung, im Fleischkonsum und dem Kleiderverbrauch pro Kopf“, gibt Roth zu bedenken.

Die Herausforderungen scheinen riesig zu sein, das Potential aber ebenfalls. „Mein Vater hat als Jugendlicher davon geträumt, in Frankreich zu studieren. Mit 18 kam er nach Frankreich, an die Front. Zu sehen, dass aus vermeintlichen Feinden Freunde geworden sind, macht ihn glücklich“, erzählt Claudia Roth. Europa könnte so vieles sein.

Hier geht’s zur Bildergalerie „Europatag 2016 an der Max-Taut-Schule“

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