Beschnittene Seele


Gladys Kiranto kämpft gegen die Verstümmelung junger Mädchen – nachdem sie selbst die Hölle erlebte


von Marie Röder, 17 Jahre, und Kristin Franke, 19 Jahre


Gladys Kiranto erzählte den Jugendreporterinnen ihre Geschichte. (Foto: Armin Erkens)
„Es ist mir nicht möglich, die Schmerzen in Worte zu fassen, und ich weiß noch wie ich, benommen von diesen schrecklichen Qualen, dachte: Meine Mutter hat mir versprochen, dass es nicht weh tut. Sie hat mich angelogen. Sie hat mich angelogen. Sie hat mich angelogen.“ Mende Naza aus dem Sudan spricht nicht gern über ihre Erlebnisse, aber sie weiß, dass es wichtig ist.


Was sich für Europäer nach Folter anhört, ist im Großteil Afrikas blutige Tradition: Genitalverstümmelung. Vor Schicksalen wie das von Mende Naza will die Organisation Tareto Maa junge Afrikanerinnen bewahren. Gründerin Gladys Kiranto ist dies eine Herzensangelegenheit, da sie die traumatische Erfahrung der Beschneidung am eigenen Leib erfahren musste.


Als Massai wuchs sie mit ihrem Vater, seinen sieben Ehefrauen und knapp 50 Geschwistern in einem konservativen Dorf in Kenia auf. Als Gladys 14 Jahre alt war, verlangte die Familie ihre Beschneidung, um sie „zur Frau zu machen“. Obwohl die meisten Mädchen in Kenia sich den Bräuchen ihrer Stämme beugen, wollte Gladys sich der schmerzvollen und riskanten Prozedur nicht unterziehen. Sie flüchtete zu einer Verwandten, wurde jedoch vom Vater mit Gewalt genötigt ins Massai-Dorf zurückzukehren. Im Dezember jenen Jahres unterwarf sie sich schließlich gemeinsam mit weiteren Kindern in einem feierlichen Ritual der Verstümmelung, von der sie noch heute mit schmerzverzerrtem Gesicht berichtet: „Wir lagen alle auf blutigen Kuhhäuten und wurden der Reihe nach mit dem gleichen Messer verstümmelt. In unserem eigenen Blut liegend, war es uns nicht gestattet zu schreien. So etwas machen starke Massai-Frauen nicht.“


Nach diesem Erlebnis wollte sich Gladys dem Willen der Eltern nicht noch einmal beugen. Und die nächste Möglichkeit, das zu beweisen, stand kurz bevor. Die Kultur der Massai verlangt, dass die gerade zur Frau gewordenen Afrikanerinnen die schulische Bildung abbrechen und an meist ältere Männer zwangsverheiratet werden. Diesmal trotzte Gladys dem Willen ihres Vaters und verließ das Dorf, um in der Nähe von Mombasa Souvenirs an Touristen zu verkaufen. Dort traf sie auf erste Unterstützung im Kampf gegen die grausame Behandlung der jungen Mädchen und gründete die Organisation Tareto Maa.


Mit ihrem Hilfsprojekt kümmern sich Gladys und ihre ehrenamtlichen Mitstreiter um Mädchen, die vor ihrer Beschneidung oder einer Zwangsheirat geflohen sind, sie vermitteln und suchen gemeinsam mit den Eltern nach Kompromissen und Möglichkeiten einer schulischen Ausbildung. Durch den außergewöhnlichen Einsatz kann Gladys heute mit einem stolzen Lächeln sagen: „In meinem Heimatdorf wird kein einziges Mädchen mehr beschnitten, im ganzen Land findet ein Umdenken statt, und veraltete Traditionen werden aufgebrochen. Das macht mich sehr glücklich.“ Auch mit ihrer Familie steht die Kenianerin nach langen Jahren des Schweigens wieder im Kontakt und erklärt heute, dass sie ihrem Vater verziehen hat.


Mehr Informationen und Möglichkeiten der Mithilfe findet ihr unter www.tareto-maa.org

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