Konzertbesucher beim #wirsindmehr-Konzert gegen Rechts vor der Johanniskirche. Chemnitz, 03.09.2018 | Verwendung weltweit
Konzertbesucher beim #wirsindmehr-Konzert gegen Rechts vor der Johanniskirche. Chemnitz, 03.09.2018 | Verwendung weltweit

Konzert gegen Rassismus: War das wirklich mehr?

65.000 Menschen haben beim Konzert #Wirsindmehr in Chemnitz ein Zeichen gesetzt. Doch sind sie wirklich wegen der Botschaft angereist oder eher wegen des kostenlosen Konzerts?

Von Janine Kusatz, 18 Jahre

Das Konzert #Wirsindmehr in Chemnitz, das Künstler wie Kraftklub, K.I.Z, Nura, Die Toten Hosen, Trettmann, Feine Sahne Fischfilet, Marteria und Casper auf die Beine stellten, zog mehr als 65.000 Menschen an. Anwesend war ein breit gefächertes Publikum, da besonders Die Toten Hosen auch ältere Zuhörer anzogen, die Stimmung war fröhlich und solidarisch.

Alles begann mit einer Schweigeminute für das Opfer der tödlichen Attacke auf dem Chemnitzer Stadtfest, um den Kritikern zu zeigen, dass es nicht darum gehe, „auf Gräbern“ zu tanzen, wie es Beatrix von Storch am 3. September auf Twitter unterstellte. Das Konzert war eine Reaktion auf die Ausschreitungen in Chemnitz, die von rechten Gruppen kamen.

Im Laufe des Konzerts gaben die Künstler immer wieder Statements gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und für Solidarität und Toleranz ab. Auch linke Parolen wurden gerufen: „Alerta Alerta Antifascista“, „Say it loud, say it clear, Refugees are welcome here“ oder „Nazis raus“.

Ein Konzert rettet nicht die Welt

Ein Bewusstsein der Veranstaltung schafft Felix Brummer, der Sänger der Band Kraftklub: „Wir sind nicht naiv. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass man ein Konzert macht und dann ist die Welt gerettet, aber manchmal ist es wichtig, zu zeigen, das wir nicht alleine sind.“

Die Welt ist damit wirklich nicht gerettet: Chemnitz ist immer noch ein Ort, an dem Menschen, die nicht dem Weltbild einiger Fremdenfeindlicher entsprechen, Angst haben müssen. Es gehen immer noch regelmäßig rechte Gruppierungen auf die Straße. Ein einziges Konzert, an dem 65.000 Menschen teilgenommen haben, ändert nichts an der Tatsache, dass es morgen wieder andersherum laufen könnte. Chemnitz, genauso wie viele andere Städte, in denen Rassisten das Zusammenleben  bräuchte jeden Tag Unterstützung.

Ein Konzertbesuch: politisches Engagement?

Wo waren die 65.000, als Rassisten Menschen durch die Stadt gehetzt haben? Wo waren sie, als bei der Montagsdemo der letzten Woche 8 000 Menschen „Wir sind das Volk“ riefen, aber nur 1 000 Demonstranten die Stimme dagegen erhoben? Und wo ist die prominente Unterstützung, wenn gerade nicht die Nachrichten voll mit Schlagzeilen von Hetzjagden sind?

Das Konzert hat vielleicht erneute Ausschreitungen verhindert, aber das Interesse, etwas gegen Rassismus zu tun, stieg erst mit der Präsenz der Künstler. Felix Brummer ist mit Kraftklub die einzige Band, die „noch da ist, wenn die Kameras aus sind“, wie er auf dem Konzert sagte. Auch, weil die Bandmitglieder aus Chemnitz kommen. Es gab sicherlich Leute, die da waren, weil es ein Konzert für lau gab. Es ist auch schon anderen Medien aufgefallen, dass Casper und Marteria hier ihr erstes großes gemeinsames und lang erwartetes Konzert gaben.

Das politische Engagement dieser Leute wird das Konzert wohl eher weniger angeregt haben. Noch weniger wahrscheinlich ist, dass auch nur ein kleiner Teil der begeisterten Zuschauer in Chemnitz in den kommenden Wochen als Gegendemonstrant auf die Straße gehen wird – es sei denn, er hat es vorher auch schon getan.

Trotzdem war es gut

Das heißt aber nicht, dass dieses Konzert nicht gut war: Die Gegendemonstration von Thügida, die sich unter dem Motto „Gegen antideutsche Kommerzhetze“ versammelte, wurde wegen Platzmangels untersagt. Ein Tag also ohne öffentliche Hetze, ein angstfreier Tag. Es wurden Spenden gesammelt. Eine Hälfte ging an Organisationen, die sich gegen Rassismus einsetzen. Die andere Hälfte war für die Familie des verstorbenen Daniel H.

Ob das Konzert nur Promotion für die Bands war, weiß ich nicht. Fakt ist, dass sie sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus positionierten – und das auch schon mehrmals vor den Ausschreitungen in Chemnitz. Die Frage, ob das als Zeichen auch die Fremdenfeinde erreicht hat, bleibt weiterhin offen.

 

Beitragsbild: dpa

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Kategorien Flüchtlinge Politik

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