Analysieren Sie zehn Seiten aus Adolf Hitlers ‚Mein Kampf‘ in Bezug auf die darin aufgestellte Theorie der Rassentrennung.“ So oder so ähnlich könnte die morgige Geschichtshausaufgabe lauten.
70 Jahre lang war der Nachdruck von Adolf Hitlers nationalsozialistischer Propagandaschrift untersagt. Mit Ablauf der Urheberrechte ist seit wenigen Tagen eine kommentierte Sonderausgabe im Buchhandel erhältlich. Das Münchner Institut für Zeitgeschichte hat drei Jahre lang an dieser „kritischen Edition“ gearbeitet. Um mehr als 3 500 Kommentare wurde das Werk ergänzt. Bereits am ersten Tag ausverkauft, könnte „Mein Kampf“ neue Rekorde auf dem Buchmarkt aufstellen.
Aufgrund der Lern- und Lehrmittelfreiheit in Berlin und Brandenburg ist es Lehrern nun freigestellt, die Schrift in den Unterricht einzubinden. Doch gehört ein Buch wie dieses auf den Lehrplan? Der deutsche Lehrerverband hat sich bereits für den Einsatz der Hetzschrift im Unterricht ausgesprochen. Das deutsche Bildungsministerium sowie die Berliner Bildungsverwaltung können sich das ebenfalls vorstellen. Wichtig sei, dass die kommentierte Fassung im Unterricht eingeordnet und das Unterrichtsziel – die Bekämpfung des Rechtsextremismus und die Entlarvung der NS-Ideologie – klar definiert seien.
Kritiker geben zu bedenken, Jugendliche könnten in die Arme Rechtsgesinnter getrieben werden. Ein Buch im Unterricht zu behandeln, das den Rassenkampf verherrlicht, könnte die Ausbreitung ausländerfeindlicher Gruppierungen befördern, so die Befürchtung.
Der Nationalsozialismus ist ein schrecklicher Teil der deutschen Geschichte und noch Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein äußerst sensibles Thema. Aber ist es nicht gerade deswegen wichtig, sich mit ebendieser Schrift auseinanderzusetzen?
Hitlers Thesen könnten systematisch auseinandergenommen und Behauptungen entkräftet werden. Mittels Sekundärliteratur, Dokumentationen und Zeugenberichten wäre eine angemessene Einordnung und Bewertung des Buches möglich. Zweifelsohne darf es nicht nur nebenbei behandelt werden. Es bedarf einer ausgiebigen Thematisierung. Das wiederum setzt voraus, dass Geschichtslehrer entsprechend geschult werden und ihnen im Rahmenlehrplan ausreichend Unterrichtseinheiten für diese Thematik zur Verfügung stehen. „Mein Kampf“ könnte dazu beitragen, Schüler zu politisch informierten Bürgern zu formen. Diese Chance sollte nicht unterschätzt werden.