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„Der Staat hat am falschen Ende gespart“

In „Dschihad Calling“ schreibt Christian Linker über die Entwicklung eines 18-jährigen Salafisten.

Das Thema könnte brisanter kaum sein: Jakob, frisch an der Uni, trifft auf Samira und Adil, die einer salafistischen Gruppierung angehören. Die Faszination, die der Islam auf ihn ausübt, entwickelt sich zur Obsession. Jakob konvertiert, bricht mit seinem früheren Umfeld, radikalisiert sich. Als Adil von seinem Plan erzählt, nach Syrien zu gehen, um für den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu kämpfen, muss sich auch Jakob entscheiden. Wir sprachen mit Christian Linker über seinen am 18. Dezember erschienenen Roman „Dschihad ­Calling“ und falsche Jugendpolitik.

Wie kann es dazu kommen, dass Jugendliche für den IS kämpfen? Davon handelt Christian Linkers Roman. Foto: PR / B. DÜNKELMANN
Wie kann es dazu kommen, dass Jugendliche für den IS kämpfen? Davon handelt Christian Linkers Roman. Foto: PR / B. DÜNKELMANN

Der 18-jährige Jakob kommt durch Zufall mit dem Islam in Berührung und radikalisiert sich. Wie gefährdet sind Jugendliche?
Sie sind nicht pauschal gefährdet. Aber wir leben in schwierigen Zeiten und ich kann schon verstehen, dass Leute es toll finden, wenn jemand einfache Antworten hat. Dennoch denke ich: Ja, Dschihadismus und Salafismus sind Gefahren, aber die viel größere Gefahr kommt in Deutschland immer noch von rechts. Ich möchte beide Gruppen nicht in einen Topf schmeißen, aber es gibt schon Parallelen, was diese Sehnsucht bedient nach etwas, wofür man sich einsetzen kann, wofür man kämpfen kann, wo es Zusammenhalt gibt und keine Kompromisse gemacht werden. Doch die Welt ist eben nicht so, dass alles entweder so oder so ist, auch wenn man sich das manchmal wünscht.

Wie sind Sie bei der Recherche zu diesem komplexen Thema vorgegangen?
An dem Thema arbeite ich seit etwa fünf Jahren. Zu dem Zeitpunkt gab es den IS noch gar nicht in der Form, wie es ihn heute gibt. Damals wurde gerade die Sauerland-Gruppe verhaftet, junge Leute, die wohl ein Bombenattentat verüben wollten. Das hat mich sehr interessiert. Was bringt junge Leute dazu? Das waren auch Konvertiten, die vorher gar nichts mit Religion zu tun hatten und sich in kurzer Zeit radikalisiert haben. Zu der Zeit begann ich mit der Recherche.
Als vor einem Jahr die Idee für dieses Buch feststand, wurde die Recherche intensiver. Wenn man weiß, wo sich Salafisten oder radikale Muslime im Internet aufhalten, findet man auch schnell Leute, die mit dem IS sympathisieren. Ich habe mich mit welchen getroffen, denen ich erzählte, dass ich ein Buch schreiben möchte, in dem das Thema kritisch beleuchtet wird. Außerdem macht der IS Tausende Propaganda-Videos. Es gibt aber auch eine Gruppe von Bloggern, die aus dem Untergrund von Raqqa berichten, sozusagen der IS-Hauptstadt.
Darüber hinaus habe ich mit einer jungen Frau gechattet, die behauptete, sie sei aus Deutschland ausgewandert und kämpfe jetzt in Syrien für den IS. Sie kam irgendwann auf die Idee, dass es jetzt ihr Weg ist, nach Syrien zu gehen, dort einen Kämpfer zu heiraten und eine neue Gesellschaft mit aufzubauen, in der sie ein gerechteres, freieres Leben führen kann. Sie ist allerdings irgendwann verschwunden, ich bekam nur noch die Meldung: „Aufgrund eines Problems muss der User überprüft werden.“ Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist.

Ab welchem Punkt würden Sie von Radikalisierung sprechen und nicht bloß einer neuen Glaubensrichtung?
Man kann durchaus finden, dass die eigene Lebensweise richtig ist. Die absolute Grenze ist da, wo der Respekt vor dem Leben und der Freiheit anderer Leute zu bröckeln beginnt. Wenn Hass ins Spiel kommt. Wenn man sein eigenes Weltbild so absolut setzt und denkt, nur deswegen hätten die anderen kein Recht, hier rumzulaufen, man müsste die eigentlich einsperren oder anderweitig bestrafen.

Jakobs Sprache verändert sich im Laufe seiner Radikalisierung: Plötzlich benutzt er arabische Wörter wie „inschallah“ auch vor seiner Familie. Wann setzt das bei den Jugendlichen laut Ihrer Recherche ein?
Das kommt noch vor der Radikalisierung. Wenn man zu einer Szene dazugehören will, gewöhnt man sich einen gewissen Slang an. Die Jugendlichen schauen sich diese Videos an, von Predigern etwa, und übernehmen deren Sprache. Ich selbst kann sehr gut nachvollziehen, dass man damit kokettiert. Das klingt eben so fremd und in den Ohren mancher hat das dann vielleicht auch einen bedrohlichen Touch. Das ist spannend.

Jakobs Auffassung einer richtigen Lebensweise dreht sich in wenigen Wochen um 180 Grad. Warum zweifelt er diesen plötzlichen Wandel nie an?
Jakob sehnt sich nach etwas, in das er sich reinsteigern kann. Am Anfang sagt er noch, er werde niemals zu so einem Treffen gehen. Dann geht er doch hin und sagt, er werde niemals konvertieren. Der Islam übt eine Faszination auf ihn aus. Als die Ausführung seines Glaubens solch extreme Züge annimmt, gibt es zwar Momente, in denen er denkt: „Ach du Scheiße, was mach ich hier?“ Aber das schiebt er weg, weil er Angst davor hat, ins Zweifeln zu kommen, wenn er darüber nachdenkt. Und genau das will er eben nicht. Gezweifelt hat er genug in seinem Leben, jetzt will er eine Sache mal durchziehen.

Warum fühlt sich Jakob seinen alten Freunden und der Familie überlegen?
Ich habe das bei den Leuten, mit denen ich zu tun hatte, so erlebt. Die kommen mit dieser ihnen recht unbekannten Religion in Berührung. Am Anfang ist das alles fremd und sie sind neugierig. Dann fangen sie an, irgendwas zu verstehen und lassen sich die Message erklären. Wenn sie dann ein bisschen Arabisch verstehen, lesen sie den Koran, den sonst in ihrem Umfeld niemand gelesen hat. Wenn man denkt, man sei neben den ganzen Ignoranten um einen herum der Einzige, der wirklich verstanden hat, was im Leben wichtig ist, kann das schon dazu führen, dass man etwas überheblich wird.

Die Geschichte wird aus zwei Perspektiven erzählt: der von Jakob und der von Adil, der in Syrien kämpft. Adil befallen bald Zweifel an der Richtigkeit seines Handelns. Wie kommt das – und gibt es überhaupt einen Weg zurück?
Wenn man sich nicht völlig belügt oder zudröhnt, kann man irgendwann nicht übersehen, was da Schlimmes passiert. Aber was heißt schon „zurück“? Jugendliche wie Adil sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, gegen die sie sich dann wenden und etwas anderes suchen. Wenn man dann merkt, dass auch das nicht das Wahre ist, steht man dazwischen. Vielleicht findet man einen Weg zurück hinter diese Grenze: Erkennen, dass das Leben von anderen auch wertvoll sein kann, auch wenn sie nicht dieselbe Religion oder Meinung haben.

Haben Sie jemand mit einer Ihrer Kontaktpersonen sympathisiert?
Teilweise konnte ich ihre Kritik an der Art, wie wir leben, nicht von der Hand weisen. Unseren westlichen Lebensstil könnte man durchaus als oberflächlich, konsumgeil, sinnentleert bezeichnen. Das ist nachvollziehbar – aber eben nicht deren Schlussfolgerungen daraus.

Inwiefern kann und muss die Gesellschaft sich verändern, um der Radikalisierung vorzubeugen? Was hätte Jakobs Radikalisierung verhindern können?
Es ist eine Illusion anzunehmen, man könne das auf Dauer verhindern. Aber man kann natürlich verhindern, dass Leute perspektivlos aufwachsen. Ich habe viele Jahre Jugendpolitik gemacht und miterlebt, wie die Infrastruktur der Jugendarbeit in vielen Teilen Deutschlands kaputtgespart wurde. Es hängt viel an dem Bild, das die Gesellschaft den jungen Leuten vermittelt: Ob sie willkommen sind oder nicht.
Mit Kleinigkeiten wie einem Jugendclub fängt es an und geht weiter mit den Schulen, Chancen auf einen vernünftigen Abschluss, ausreichend Ausbildungsplätzen. Dass salafistische Gruppierungen genauso auf die Straße gehen wie Sozialarbeiter, um die Leute vom Dealen usw. abzuhalten, passiert ja wirklich. Da hat der Staat am falschen Ende gespart hat. Das muss sich ändern.

Das Gespräch führte Hannah Meudt, 24 Jahre.

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