Trotz Überarbeitung des neuen Rahmenlehrplans ist der Lehrer Robert Rauh mit dem Ergebnis unzufrieden.
Es hagelte jede Menge Kritik, als im Frühjahr der Entwurf des neuen Rahmenlehrplans für Berliner und Brandenburger Schulen vorgestellt wurde. Nun haben Bildungssenatorin Sandra Scheeres und ihr Brandenburger Amtskollege Günter Baaske die überarbeitete Fassung unterzeichnet. Zum Schuljahr 2017/18 soll sie in Kraft treten. Wie sie zu bewerten ist, darüber sprachen wir mit dem Berliner Geschichtslehrer Robert Rauh.
Herr Rauh, erstmals gilt der Rahmenlehrplan für die Klassen 1 bis 10 aller Schulformen. Ist das sinnvoll?
Ein Plan für alle Schulformen und alle Schüler ist nicht sinnvoll. Langfristig könnte das auf die Einführung einer Einheitsschule hindeuten. Im Rahmenlehrplan wird zwar zwischen Niveaustufen differenziert, aber im Detail stößt er an seine Schultypgrenzen. So wird beispielsweise Geschichte am Gymnasium zweistündig und an der Integrierten Sekundarschule nur einstündig unterrichtet. Und man muss kein Hellseher sein, um vorauszusagen, dass die Lehrer den Stoff nicht schaffen werden. Themen wie DDR und Wiedervereinigung werden am Ende der 10. Klasse wieder unter den Lehrertisch fallen.
Der Plan wird für Berlin und Brandenburg gelten. Was halten Sie davon?
Ein gemeinsamer Lehrplan für zwei Bundesländer ist begrüßenswert. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, hin zur Abschaffung des Bildungsföderalismus. In der gesamten Bundesrepublik sollten gleiche Lehrpläne gelten, um eine entscheidende Voraussetzung für die Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse zu gewährleisten.
Die Einwände am Entwurf waren so zahlreich, dass der Rahmenlehrplan monatelang überarbeitet wurde.
Allerdings geschah dies nur auf öffentlichen Druck der Lehrer, Eltern und Verbände. Mehr als 6.600 haben unsere Online-Petition unterschrieben. Erst dieser Protest bewirkte ein Umdenken in den Ministerien.
In den Klassen 5 und 6 sollen Geschichte, Politische Bildung und Erdkunde im Fach Gesellschaftswissenschaften zusammengefasst werden. Eine gute Idee?
Die Zusammenlegung von Fächern hat durchaus Vorteile. Es macht Sinn, fachübergreifende Zusammenhänge für Schüler transparent zu machen, anstatt die Inhalte isoliert und redundant zu unterrichten. Allerdings verschwinden Geschichtsthemen im neuen Rahmenlehrplan trotz unserer Kritik immer noch hinter Themen wie Ernährung, Tourismus und Wasser.
Wie wird den Lehrern der fachfremde Unterrichtsstoff nähergebracht?
Für sie wird es sicher Fortbildungen geben. Ungeachtet dessen werden entsprechende Lehramtsstudiengänge für Kombi-Fächer erst sukzessive an den Universitäten eingerichtet. Folglich muss zunächst fachfremd unterrichtet werden. Das betrifft nicht nur das neue Fach Gesellschaftswissenschaften, sondern auch Naturwissenschaften, das jetzt auch in Brandenburg eingeführt wird. Ich bezweifle jedoch, dass ein Physiklehrer kompetent die Wirbeltiere unterrichten kann, oder ich als Geschichtslehrer die Gebirgsräume. Das fachfremde Unterrichten kann vielleicht kurzfristig das Problem Lehrermangel entschärfen, läuft langfristig jedoch auf eine Entwertung des bewährten Fachunterrichts hinaus.
Kritisiert wurde, dass im Geschichtsunterricht der Klassen 7 und 8 streng nach dem Längsschnittverfahren unterrichtet werden sollte. Statt die Epochen chronologisch zu behandeln, sollten Themen, etwa Armut, in verschiedenen historischen Zeiten untersucht werden. Hier wurde nachgebessert – zufriedenstellend?
Es ist erfreulich, dass die Senatsverwaltung viele Kritikpunkte berücksichtigt hat. In jeder Jahrgangsstufe gibt es nun Epochenmodule, die nach dem chronologischen Verfahren unterrichtet werden. Die ergänzenden wahlobligatorischen Module berücksichtigen daneben auch andere Untersuchungsverfahren, etwa Fallanalyse und Vergleich. Ich bin aber überzeugt, dass der chronologische Schnelldurchlauf vom Mittelalter bis zur Neuzeit die Schüler zu Beginn der 7. Klasse überfordern und die Lehrer in Zeitnot bringen wird.
Der neue Rahmenlehrplan wurde ja nun unterzeichnet. Ist eine weitere Nachbesserung überhaupt möglich?
Der überarbeitete Plan wurde wie eine geheime Verschlusssache behandelt. Ihn zeitgleich mit der Veröffentlichung unterschreiben zu lassen, war ein geschickter Schachzug. Offenbar wollte man verhindern, dass der Plan erneut in sämtlichen Gremien diskutiert wird. Zurzeit wird er in den Fachkonferenzen, Elternräten und zuständigen Verbänden genau geprüft. Dann wird beraten, ob und was man tun kann.
Das Gespräch führte Hannah Meudt, 24 Jahre.