Europa kann von der Jugend Akzeptanz lernen

Von Aniko Schusterius, 18 Jahre

Aniko Schusterius: Hört auf, über Conchita Wurst zu sprechen. Foto: Privat
Aniko Schusterius: Hört auf, über Conchita Wurst zu sprechen. Foto: Privat
Seit zwei Wochen ist sie aus den Medien nicht mehr wegzudenken: Conchita Wurst und ihr überraschender Sieg beim Eurovision Song Contest beherrschen die Nachrichten. Kaum eine Zeitung, Radiosendung oder Talkshow hat noch nicht die Frage diskutiert: Wie tolerant ist Europa? 
Dabei scheint es immer nur zwei Meinungsrichtungen zu geben. Entweder lieben die Kommentatoren die Frau mit Bart oder sie können überhaupt nichts mit ihr anfangen. Laut einer Umfrage der österreichischen Internetseite „News“ waren vor dem Sieg 46 Prozent, fast die Hälfte der Österreicher, nicht stolz auf ihre Vertreterin. Nachdem Conchita Wurst den ersten Platz geholt hatte, lehnten sie plötzlich nur noch 29 Prozent ab.
 Ähnliche Beobachtungen gab es zu der Frage, ob sie gut für das Image des Landes sei. Vor dem ESC waren 60 Prozent dieser Meinung, danach 80 Prozent. Die Beliebtheit von Conchita Wurst ist also gestiegen. Nichts geändert hat sich unterdessen an der Einstellung der Österreicher zu Homosexualität und Transidentität. Nur 32 Prozent würden ihr Kind unterstützen, wenn es den gleichen Weg wie Conchita Wurst gehen wollte. 39 Prozent würden sich nicht einmischen und erschreckende 16 Prozent gaben an, ihr Kind in jedem Fall davon abbringen zu wollen. Einem Viertel der Befragten fällt der Umgang mit Homosexualität schwer. Sieben Prozent der Österreicher bezeichnen Homosexualität sogar als nicht normal.

Angesichts der steigenden Beliebtheit von Conchita Wurst und der gleichbleibenden Homophobie fragt man sich, ob Europa sexuelle Vielfalt toleriert oder akzeptiert. Toleranz heißt Duldung, wie im Fall der ESC-Gewinnerin. Akzeptanz ist mehr, sie bedeutet Anerkennung. 
Unter den vielen Kritikern der Künstlerin gibt es auch die, die behaupten, Homosexualität wäre in Europa einfach kein Thema mehr, es sei deshalb falsch, Aufhebens um die ESC-Siegerin zu machen. Das ist aber unlogisch. Denn eben dass sie so viel Aufmerksamkeit erregt, zeigt ja, dass Homosexualität doch noch ein Thema ist. Zumindest für die Generation derer, die sich in der Öffentlichkeit zu Conchita Wurst äußern. 
Die meisten Jugendlichen allerdings haben ein unverkrampfteres Verhältnis zu der Sängerin. Jugendzeitschriften berichteten über sie nicht viel anders, als sie wohl über jeden anderen Gewinner des ESC auch berichtet hätten. Und in der Schulklasse ging es am Tag nach der Eurovision-Nacht vor allem um die Frage, ob „Rise Like a Phoenix“ ein gutes Lied war oder nicht. Viele Jugendliche sind einen Schritt weiter als die Erwachsenen – wir akzeptieren gerne, statt nur zu tolerieren.

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Kategorien Politik

90er-Kid, Bücherwurm, Weltenbummler. Ich liebe Musik und das geschriebene Wort. Letzteres kann man von mir seit 2012 hier lesen. Meine große Leidenschaft gilt dem Theater, das mich mehr als alles andere fasziniert. Wenn ich durch die Straßen Berlins laufe, kommt mir das Leben vor wie eine Aneinanderreihung vieler kleiner Inszenierungen, deren Geschichten alle festgehalten werden wollen. So inspiriert mich unsere Hauptstadt stetig zu neuen Themen für unsere Seite.