Bilder einer verschlossenen Gemeinschaft

Fein gezeichnet: eine Szene aus dem Comic "Im Land der Frühaufsteher". Bild: Avant-Verlag

Das Comic „Im Land der Frühaufsteher“ ist aktuell: Es stellt das Leben von Asylanten in Deutschland dar


Von Lisa Brückner, 22 Jahre, und Cordula Kehr, 21 Jahre


Ein Mädchen geht in einen Afroshop und bestellt sich eine Limonade. Zunächst wird sie von einigen jungen Männern misstrauisch beäugt, bis langsam ein Gespräch auf Französisch zustande kommt. Die Männer fragen sie erstaunt, was eine weiße Frau an einem solchen Ort macht. Was zunächst anmutet wie ein Erlebnis, das man auf einer Reise in ein fernes Land macht, spielt sich in Deutschland ab. Allerdings nicht in der Realität, sondern auf dem Papier: „Im Land der Frühaufsteher“, das erste Comic der Zeichnerin Paula Bulling, entführt den Leser nach Sachsen-Anhalt. Den Titel, der den offiziellen Werbeslogan des Bundeslands zitiert, wählte die Zeichnerin, weil er im ironischen Kontrast zu der ernsten Geschichte steht, die erzählt wird. „Die Idee zum Titel hatte ich, weil ich die Geschichte räumlich begrenzen wollte“, sagt die 26-jährige Berlinerin.


In ihrem Comic erzählt Bulling von ihren Begegnungen mit Asylbewerbern, beschreibt deren Lebenssituation in den staatlichen Unterkünften und zeigt wie grau und trostlos das Leben der Flüchtlinge in Deutschland ist. Sie greift damit ein Thema auf, das nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Asylbewerbern höhere staatliche Leistungen zuzusprechen als bisher, momentan sehr präsent ist. In Schwarz-Weiß-Bildern thematisiert sie alltägliche Probleme des Wohnens auf beengtem Raum, Rassismus und Diskriminierung, aber auch Momente der Nähe und Freundschaft zwischen Deutschen und Asylbewerbern. Dabei überzeugt sie durch eine fein gezeichnete Mimik und detaillierte Gesichterstudien, denen sie genauso viel Raum gibt wie Großaufnahmen der Flüchtlingsunterkünfte im Plattenbau. Für Bulling, die selbst in ihrem Buch als zentrale Figur auftritt, war es nicht immer leicht, einen Zugang zu der für Außenstehende eher verschlossenen Gemeinschaft zu finden. Außerdem zweifelte sie daran, als Nicht-Flüchtling die richtige Erzählweise gefunden zu haben. Dazu kam, dass der Tod des Asylanten Azad Hadji, den Paula Bulling bei einem Besuch im Flüchtlingsheim Möhlau kennengelernt hatte, das Erzählen erschwerte. Hadji starb im Sommer 2009 unter ungeklärten Umständen – vermutlich wurde er ein Opfer rechter Gewalt. „Der Tod von Azad Hadji hat mich sehr getroffen und hat teilweise meine Kapazitäten als Erzählerin überschritten.“


Aufgrund der persönlichen Betroffenheit, da sie vor Ort recherchierte und neben dem Zeichnen noch studierte, zog sich die Arbeit an „Im Land der Frühaufsteher“ über dreieinhalb Jahre. Dass das Comic gerade jetzt, da die Anliegen der Asylbewerber diskutiert werden, erschienen ist, war nicht beabsichtigt.


„Text und Bilder sind parallel entstanden“, so Bulling, die für ihr erstes Comic nicht wie üblich vorab ein Storyboard konzipierte, sondern die Geschichte in Zusammenarbeit mit Noel Kaboré entwickelte. Kaboré schrieb einen Teil der Dialoge zwischen den Bewohnern des Flüchtlingsheims in Halberstadt, die teilweise fremdsprachig sind.


Das Buch richtet sich nicht nur an Comicliebhaber, sondern allgemein an Leser, die sich mit der Problematik der Asylsuchenden in Deutschland noch nicht so intensiv auseinandergesetzt haben. Was als reiner Text nur schwer erzählbar ist, wird durch die Bilder, die eine eigene Erzählebene eröffnen, schwarz auf weiß sichtbar.

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Kategorien Politik

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